ich schreibe mich aufs letzte blatt
frau katiza hat mich gestern an ein projekt erinnert, das ich schon ewig angehen wollt. da slammen nicht so meins ist, erfreu ich euch ab sofort mit kommentaren zu meinem wiedergefundenen stammbuch.
früher mussten wir (oder unsere mütter - je nach lust und fleiß) eine leere seite füllen, nicht nur vorgegebene rubriken. niemand wäre auf die Idee gekommen, fotos hineinzukleben, die waren viel zu teuer.
und in absolut jedem stammbuch, stand auf der letzten seite:
die schriftanalyse überlass ich herrn trithemius, falls er lust hat, der kann das besser. von mir gibt´s wie immer nur text ...
christl saß in der vorletzten reihe, sie hatte dicke brillen und ganz feste rotblonde locken. viel hab ich nicht mit ihr gesprochen, gar nicht, weil ich sie nicht mochte, eher weil ich sie nicht kannte.
vier jahre lang nicht kannte.
eigentlich hab ich mich gewundert, dass sie sich aufs letzte blatt geschrieben hat und mich "sehr gern hat". und außerdem hab ich mich damals auch ein bisschen darüber geärgert, dass ich den fantasielosen spruch jetzt auch als schandfleck in meinem stammbuch hatte.
sie konnte von uns 30 schülerInnen am besten fehlerlos lesen, nur ganz selten schaffte ich mehr worte als sie. das weiß ich deshalb so genau, weil unsere deutschlehrerin in der unterstufe (die heute sekundarstufe II heißt - ein wort, das ich herzlich unnötig finde - ) aus jeder klassenlektüre einen wettkampf machte. und wer den jeweiligen tagesbestwert erreicht hatte, war von der hausübung befreit. vielleicht wär´s ja besser gewesen, ich hätte noch seltener gewonnen - dann hätt ich jahre später meine deutsch-matura nicht verhauen müssen. aber das ist eine andere geschichte.
was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. wahrscheinlich ist sie auf eine handelsakademie gegangen. vielleicht hat sie einen lieben, genau so ruhigen mann und drei wohlerzogene kinder bekommen. jetzt sitzt sie am abend in ihrem gepflegten garten, nachdem sie aus ihren selbstgezogenen krauthäupteln ein paar raupen entfernt hat. schön sind die ja erst, wenn sie schmetterlinge geworden sind.
früher mussten wir (oder unsere mütter - je nach lust und fleiß) eine leere seite füllen, nicht nur vorgegebene rubriken. niemand wäre auf die Idee gekommen, fotos hineinzukleben, die waren viel zu teuer.
und in absolut jedem stammbuch, stand auf der letzten seite:
die schriftanalyse überlass ich herrn trithemius, falls er lust hat, der kann das besser. von mir gibt´s wie immer nur text ...
christl saß in der vorletzten reihe, sie hatte dicke brillen und ganz feste rotblonde locken. viel hab ich nicht mit ihr gesprochen, gar nicht, weil ich sie nicht mochte, eher weil ich sie nicht kannte.
vier jahre lang nicht kannte.
eigentlich hab ich mich gewundert, dass sie sich aufs letzte blatt geschrieben hat und mich "sehr gern hat". und außerdem hab ich mich damals auch ein bisschen darüber geärgert, dass ich den fantasielosen spruch jetzt auch als schandfleck in meinem stammbuch hatte.
sie konnte von uns 30 schülerInnen am besten fehlerlos lesen, nur ganz selten schaffte ich mehr worte als sie. das weiß ich deshalb so genau, weil unsere deutschlehrerin in der unterstufe (die heute sekundarstufe II heißt - ein wort, das ich herzlich unnötig finde - ) aus jeder klassenlektüre einen wettkampf machte. und wer den jeweiligen tagesbestwert erreicht hatte, war von der hausübung befreit. vielleicht wär´s ja besser gewesen, ich hätte noch seltener gewonnen - dann hätt ich jahre später meine deutsch-matura nicht verhauen müssen. aber das ist eine andere geschichte.
was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. wahrscheinlich ist sie auf eine handelsakademie gegangen. vielleicht hat sie einen lieben, genau so ruhigen mann und drei wohlerzogene kinder bekommen. jetzt sitzt sie am abend in ihrem gepflegten garten, nachdem sie aus ihren selbstgezogenen krauthäupteln ein paar raupen entfernt hat. schön sind die ja erst, wenn sie schmetterlinge geworden sind.
la-mamma - 24. Jun, 09:06
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Trithemius - 25. Jun, 17:27
Ich glaube, in Deutschland heißt so ein "Stammbuch" Poesiealbum. Als junger Lehrer konnte ich mich der Poesiealben nicht erwehren, in die ich etwas hineinschreiben sollte. Vor allem setzte es mich enorm unter Stress, denn ich konnte mir denken, dass mein jeweiliger Eintrag ggf. von Geschwistern, Mutter, Vater, Oma, Opa, Onkeln und Tanten begutachtet werden würde. Ich habe also viele dieser Poesiealben gesehen. Die Inhalte sind sehr konventionell wie Ihr Beispiel vom letzten Blatt. Es gibt nur ein überschaubares Repertoire an beliebten Sprüchen,etwa:
"Rosen, Tulpen, Nelken,
Alle Blumen welken,
Aber nur die eine nicht:
Diese heißt Vergissmeinicht."
(bis eben eine Klassenlehrerin oder ein Deutschlehrer kommt und eine Zitatensammlung echter Poesie geplündert hat.)
Der Eintrag geschieht in einer Art Sonntagsschrift, wie auch auf dem letzten Blatt Ihres Stammbuchs zu sehen. Die Buchstaben bekommen wie hier kalligraphische Schmuckelemente, kleine, gegen die Schreibrichtung gewandte Kringel an den oberen Enden der Schäfte, Kreise statt I-Punkten, die ich bei mir immer Tennisbälle genannt habe. Gerade die Schrift der Mädchen im vorpubertären Alter weist oft dieses Tennisballsyndrom auf. Unter dem "kalligraphischen" Sprucheintrag hat Christl dann in ihre Widmung in verbundener Handschrift geschrieben. Bei dieser Gelegenheit: Die Ausgangsschriften Österreichs kenne ich nicht, weiß nicht mal, wie die heißen. In der Schweiz heißt die verbundene "Schnürlischrift" in Deutschland "Lateinische Ausgangsschrift" oder "Vereinfachte Ausgangsschrift" und bei Ihnen? Könnten Sie mir mal ein Schriftprobe zeigen? Das wäre sehr nett.
"Rosen, Tulpen, Nelken,
Alle Blumen welken,
Aber nur die eine nicht:
Diese heißt Vergissmeinicht."
(bis eben eine Klassenlehrerin oder ein Deutschlehrer kommt und eine Zitatensammlung echter Poesie geplündert hat.)
Der Eintrag geschieht in einer Art Sonntagsschrift, wie auch auf dem letzten Blatt Ihres Stammbuchs zu sehen. Die Buchstaben bekommen wie hier kalligraphische Schmuckelemente, kleine, gegen die Schreibrichtung gewandte Kringel an den oberen Enden der Schäfte, Kreise statt I-Punkten, die ich bei mir immer Tennisbälle genannt habe. Gerade die Schrift der Mädchen im vorpubertären Alter weist oft dieses Tennisballsyndrom auf. Unter dem "kalligraphischen" Sprucheintrag hat Christl dann in ihre Widmung in verbundener Handschrift geschrieben. Bei dieser Gelegenheit: Die Ausgangsschriften Österreichs kenne ich nicht, weiß nicht mal, wie die heißen. In der Schweiz heißt die verbundene "Schnürlischrift" in Deutschland "Lateinische Ausgangsschrift" oder "Vereinfachte Ausgangsschrift" und bei Ihnen? Könnten Sie mir mal ein Schriftprobe zeigen? Das wäre sehr nett.
la-mamma - 26. Jun, 11:15
danke für die prompte analyse! tennisballsyndrom ist ja ein herrlicher ausdruck!
freuen sie sich einmal auf die späteren einträge, ich war teilweise entzückt, gerührt, .... - sind gar nicht alle platt;-)
ps: ich hab ja selbst dann "auf der anderen seite" nur zwei jahre in der schule verbracht, aber mir - genau wie sie - damals redliche mühe gegeben, etwas passendes für die (und ab 10 jahren natürlich sehr selten den) jeweilige besitzerin zu finden ...
pps: und zu ihrem letzten wunsch - ich werde suchen. (und hoffentlich was finden). wenn nicht, dann schreib ich selbst;-)
grundsätzlich lernte man bei uns in der volksschule zuerst blockschrift und dann lateinschrift. im gymnasium durften wir dann schreiben, wie wir wollten.
freuen sie sich einmal auf die späteren einträge, ich war teilweise entzückt, gerührt, .... - sind gar nicht alle platt;-)
ps: ich hab ja selbst dann "auf der anderen seite" nur zwei jahre in der schule verbracht, aber mir - genau wie sie - damals redliche mühe gegeben, etwas passendes für die (und ab 10 jahren natürlich sehr selten den) jeweilige besitzerin zu finden ...
pps: und zu ihrem letzten wunsch - ich werde suchen. (und hoffentlich was finden). wenn nicht, dann schreib ich selbst;-)
grundsätzlich lernte man bei uns in der volksschule zuerst blockschrift und dann lateinschrift. im gymnasium durften wir dann schreiben, wie wir wollten.
steppenhund - 25. Jun, 22:24
Ich finde ja das Fragezeichen in der Anrede sehr nett. Drückt das den Zweifel darüber aus, ob sie dich "liebe" betiteln darf.
Darüber könnte ich z.B. lange nachdenken ...
Darüber könnte ich z.B. lange nachdenken ...
david ramirer - 25. Jun, 22:55
schriftanalyse
da fräulein reuter bei fast allen buchstaben, die die oberlinie treffen, diese kleine kurve abwärts macht (siehe vor allem die "t"!), könnte ich mir vorstellen, dass sie ein "!" machen wollte, es aber ein "?" wurde...
jedoch würde ich mich fragen, wie sie dann ein "?" umsetzen würde? noch deutlich gebauchter wahrscheinlich.
es gibt einige fälle von in dem alter nur mangelhaft entwickelten individuellen schönschriften, die dann zu solchen missverständnissen führen...
;)
jedoch würde ich mich fragen, wie sie dann ein "?" umsetzen würde? noch deutlich gebauchter wahrscheinlich.
es gibt einige fälle von in dem alter nur mangelhaft entwickelten individuellen schönschriften, die dann zu solchen missverständnissen führen...
;)
Trithemius - 26. Jun, 07:17
@ David Ramirer
Von den Kringeln sind ja nur die geraden senkrechten Schäfte betroffen; das Fragezeichen hätte sie ganz normal schreiben können.
Kalligraphie entwickelt sich leider nicht von selbst, sondern braucht Kenntnisse, beispielsweise, dass das kleine t keine echte Oberlänge hat, sondern deutlich kleiner ist als die Buchstaben mit Oberlänge.
Von den Kringeln sind ja nur die geraden senkrechten Schäfte betroffen; das Fragezeichen hätte sie ganz normal schreiben können.
Kalligraphie entwickelt sich leider nicht von selbst, sondern braucht Kenntnisse, beispielsweise, dass das kleine t keine echte Oberlänge hat, sondern deutlich kleiner ist als die Buchstaben mit Oberlänge.
david ramirer - 26. Jun, 07:35
@trithemius
eben daher nehme ich an, dass sie ein rufzeichen schreiben wollte und es in der logistik ihrer schrift auch geschrieben hat - denn ein rufzeichen ist ja ein gerader strich mit einem punkt drunter - wenn er aber oben und unten diese verzierunsbögelchen hat, wird das zum fragezeichen.
es handelt sich hier - vermute ich - um eine nicht bis zum ende gedachte kalligraphie mit ihren macken. wie gesagt - ich habe so etwas schon öfters gesehen.
es handelt sich hier - vermute ich - um eine nicht bis zum ende gedachte kalligraphie mit ihren macken. wie gesagt - ich habe so etwas schon öfters gesehen.
la-mamma - 26. Jun, 11:44
je länger ich die schrift betrachte, desto mehr glaub ich, dass sie sich die kalligraphie schlicht selbst ausgedacht hat. auch das kleine c wirkt höchst ungewöhnlich ... - sie hatte es einfach mit den "bogerln" - um zum wahrscheinlich-doch-kein-fragezeichen zurückzukommen.
Mr. Spott - 25. Jun, 22:41
Pösi
Ein Lehrer tat es mit nicht kleiner Murre,
im Heft, die Dechiffrierung meiner Klurre.
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals etwas in ein „Posi“ oder „Pösi“, wie diese kleinen Büchlein damals genannt wurden, eingeschrieben habe.
In meiner Grundschulzeit 1949 – 1975 hatten das nur Mädchen, denn solch Kram war unter uns Jungen verpönt. Wer in solch „Pösi“ geschrieben hätte, wäre doch glatt in den Verdacht einer Liebschaft geraten und hätte mächtig leiden müssen.
Bei meinen Kindern später, sah das alles schon anders aus. Aber da gab es auch schon vorgedruckte Alben, was aber auch genug Konfliktstoff in sich barg. Als meine Tochter einmal angab, ihre Lieblingsschlagersänger sind das DDR-Duo Monika Hauff/ Klaus-Dieter Henckler hat sich die Besitzerin dafür so geschämt oder geärgert, dass sie das ganze Blatt entfernte.
Das wiederum brachte meine Tochter auf die Palme und so zerbrach eine doch ziemlich gute Mädchenfreundschaft.
im Heft, die Dechiffrierung meiner Klurre.
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals etwas in ein „Posi“ oder „Pösi“, wie diese kleinen Büchlein damals genannt wurden, eingeschrieben habe.
In meiner Grundschulzeit 1949 – 1975 hatten das nur Mädchen, denn solch Kram war unter uns Jungen verpönt. Wer in solch „Pösi“ geschrieben hätte, wäre doch glatt in den Verdacht einer Liebschaft geraten und hätte mächtig leiden müssen.
Bei meinen Kindern später, sah das alles schon anders aus. Aber da gab es auch schon vorgedruckte Alben, was aber auch genug Konfliktstoff in sich barg. Als meine Tochter einmal angab, ihre Lieblingsschlagersänger sind das DDR-Duo Monika Hauff/ Klaus-Dieter Henckler hat sich die Besitzerin dafür so geschämt oder geärgert, dass sie das ganze Blatt entfernte.
Das wiederum brachte meine Tochter auf die Palme und so zerbrach eine doch ziemlich gute Mädchenfreundschaft.
la-mamma - 26. Jun, 11:12
ich musste grad ein wenig beckmesserisch lachen: waren sie lehrer oder hatten sie die längste grundschulzeit, die mir je untergekommen ist;-)
jaja, das mit den herausgerissenen seiten, war die ärgste schmach, die man jemandem antun konnte. übermalen von einträgen in ungnade gefallener gab´s auch;-)
jaja, das mit den herausgerissenen seiten, war die ärgste schmach, die man jemandem antun konnte. übermalen von einträgen in ungnade gefallener gab´s auch;-)
Mr. Spott - 29. Jun, 01:08
Ach wie peinlich, ich baue ab. Nicht die lange Grundschulzeit, sondern der Zahlendreher. Die Seite 1975 werde ich wohl heraus reißen müssen oder mit 1957 übermalen.
Trithemius - 26. Jun, 07:10
Haben Sie schon das Angebot gesehen, das Ihnen Zettelmeister Gert Schmidt im Teppichhaus unterbreitet hat?
la-mamma - 26. Jun, 11:38
nicht nur gesehen, auch schon beantwortet!
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