Nennen wir ihn Yuriy
Du bist 15 Jahre alt und ein großer Rammsteinfan. Mit ihren Texten hast du dir eine Menge deutscher Worte beigebracht, dein Onkel lebt in Kanada und du glaubst, dass du mit ihm Englisch wie ein Muttersprachler gelernt hast. Denn irgendwann willst auch du dort leben – und nicht mehr in diesem Besatzungsgebiet, in dem seit 8 Jahren keine Post mehr zugestellt worden ist.
Deinen Vater hast du nie gekannt, dafür warst du der Liebling deines Großvaters – und der ist jetzt genau an deinem Geburtstag gestorben. Du hast viele Freunde, eine tüchtige Mutter, die dir schon vor zwei Jahren eine richtig gute E-Gitarre geschenkt hat und du übst gar nicht so wenig, auch wenn du keine Noten lesen kannst.
An einem Tag im Februar hast du kein Zimmer mehr in einer herabgekommenen Plattenbauwohnung in Donezk, an einem andren Tag im März hast du kein Haus der Großeltern mehr, in das ihr ziehen könntet.
Du organisierst eine mögliche Unterkunft, deine Mutter spricht fast kein Englisch und schon gar kein Deutsch. Deine Mutter organisiert die Fahrt, ihr müsst lange warten – und ihr nehmt alles mit, was sich mitnehmen lässt. Ihr braucht 4 Tage, um in Wien anzukommen.
Du verliebst dich. Du rauchst deinen ersten Joint. Du trinkst dein erstes Bier. Du bügelst deine Hemden meistens selbst. Du kommst in eine Art Übergangsschule mit ukrainischen Lehrer:innen. Du hast in Wien Freunde von daheim wiedergetroffen. Und andere gewonnen. Sagst du.
Du darfst in eine österreichische Schule wechseln, du sprichst Deutsch mit kaum Fallfehlern und komplizierten Nebensatzgefügen. Du legst dein Handy nie aus der Hand. Du wirst aus der Schule geworfen, speziell die Lehrer:innen, denen die allgemeine Disziplinlosigkeit anscheinend gar nichts ausmacht, finden deine nicht angebracht.
Du gehst jeden Abend spazieren. Sagst du. Deine Pupillen schauen manchmal sehr klein aus. Du bist launisch, deine Mutter arbeitet von Montag bis Sonntag. Wenn sie nicht putzen geht, näht sie, strickt sie, häkelt sie – sie hat viele Bestellungen. Den dritten Deutschkurs finanziert sich deine Mutter selbst, sie hat 4 Monate gewartet.
Du machst eine Ausbildung zum Tontechniker. Online in Deutschland. Sagst du.
Warum ich mir Sorgen mache?
Du bist 18 Jahre alt. Deine Mutter ist gewöhnt, dass du sehr spät oder gar nicht heimkommst. Eine unbekannte Nummer reißt sie aus dem Schlaf. Mittlerweile versteht sie Deutsch recht gut, und das Wort Polizei klingt in allen Sprachen ähnlich. Sie versteht trotzdem nicht, ihr Sohn würde doch nie.
Deine Mutter sitzt zum ersten Mal im grünweißen Gang – mit lauter anderen Müttern. Sie hat sich freinehmen müssen, das war gar nicht so einfach, denn ihre neue Chefin ist sehr penibel - und sie im Probemonat. Der erste Job in Österreich, der über Reinigung hinausgeht.
Du bist gutaussehend, das wird in deinem Fall aber auch wenig helfen. Dein Pflichtverteidiger ist ein wenig lustlos. Deine Richter werden urteilen.
Deinen Vater hast du nie gekannt, dafür warst du der Liebling deines Großvaters – und der ist jetzt genau an deinem Geburtstag gestorben. Du hast viele Freunde, eine tüchtige Mutter, die dir schon vor zwei Jahren eine richtig gute E-Gitarre geschenkt hat und du übst gar nicht so wenig, auch wenn du keine Noten lesen kannst.
An einem Tag im Februar hast du kein Zimmer mehr in einer herabgekommenen Plattenbauwohnung in Donezk, an einem andren Tag im März hast du kein Haus der Großeltern mehr, in das ihr ziehen könntet.
Du organisierst eine mögliche Unterkunft, deine Mutter spricht fast kein Englisch und schon gar kein Deutsch. Deine Mutter organisiert die Fahrt, ihr müsst lange warten – und ihr nehmt alles mit, was sich mitnehmen lässt. Ihr braucht 4 Tage, um in Wien anzukommen.
Du verliebst dich. Du rauchst deinen ersten Joint. Du trinkst dein erstes Bier. Du bügelst deine Hemden meistens selbst. Du kommst in eine Art Übergangsschule mit ukrainischen Lehrer:innen. Du hast in Wien Freunde von daheim wiedergetroffen. Und andere gewonnen. Sagst du.
Du darfst in eine österreichische Schule wechseln, du sprichst Deutsch mit kaum Fallfehlern und komplizierten Nebensatzgefügen. Du legst dein Handy nie aus der Hand. Du wirst aus der Schule geworfen, speziell die Lehrer:innen, denen die allgemeine Disziplinlosigkeit anscheinend gar nichts ausmacht, finden deine nicht angebracht.
Du gehst jeden Abend spazieren. Sagst du. Deine Pupillen schauen manchmal sehr klein aus. Du bist launisch, deine Mutter arbeitet von Montag bis Sonntag. Wenn sie nicht putzen geht, näht sie, strickt sie, häkelt sie – sie hat viele Bestellungen. Den dritten Deutschkurs finanziert sich deine Mutter selbst, sie hat 4 Monate gewartet.
Du machst eine Ausbildung zum Tontechniker. Online in Deutschland. Sagst du.
Warum ich mir Sorgen mache?
Du bist 18 Jahre alt. Deine Mutter ist gewöhnt, dass du sehr spät oder gar nicht heimkommst. Eine unbekannte Nummer reißt sie aus dem Schlaf. Mittlerweile versteht sie Deutsch recht gut, und das Wort Polizei klingt in allen Sprachen ähnlich. Sie versteht trotzdem nicht, ihr Sohn würde doch nie.
Deine Mutter sitzt zum ersten Mal im grünweißen Gang – mit lauter anderen Müttern. Sie hat sich freinehmen müssen, das war gar nicht so einfach, denn ihre neue Chefin ist sehr penibel - und sie im Probemonat. Der erste Job in Österreich, der über Reinigung hinausgeht.
Du bist gutaussehend, das wird in deinem Fall aber auch wenig helfen. Dein Pflichtverteidiger ist ein wenig lustlos. Deine Richter werden urteilen.
la-mamma - 14. Mai, 08:54
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