Montag, 12. September 2005

wahnsinn?

der grund für den wahnsinn steckt in einer geschichte voller selbstverlust und selbstentleibung. er setzt ein süchtiges liebesverhältnis voraus, das seine wahrheit beherrscht, das in einem geschlossenen lebensraum anhaltend bestanden hat und im gedächtnis fortbesteht.
aber der wahnsinn besteht auch darin, dass er dieses machtverhältnis in sich selbst weiterführt und seine zwischenmenschlichen lebensverhältnisse hierunter fortbestimmt. es ist daher völlig falsch, dem wahn eine besondere wahrheit zu verleihen, als wäre er der schamane unter den eunuchen. der wahn verliert seine notwendigkeit nur dadurch, dass sich ein mensch - meist muss es der oder die betroffenen selbst sein - zwischen die mächte der aufgehobenen identität, zwischen dem nichts und nichts anderes als etwas anderes wirklich zu machen versteht, also als wirklich veränderter mensch fortbesteht.“
(Zitat nach: http://www.kulturkritik.net/Lex/w.html)

Das ist die beste Definition, die ich je darüber gelesen habe.
Und weil ich mich relaTIEF auch deshalb wieder einmal erinnert habe, wie das eigentlich war, das folgende Stückchen Vergangenheit:
*
ich lernte N. beim Schifahren kennen, wir wohnten 743 km entfernt voneinander. Nach 8 Jahren Fernehe habe ich mir zugetraut, eine Fernbeziehung zu führen. Ich unterschätzte die Sehnsucht dabei. Erster Fehler.
A. lernte N. gleich mitkennen. Und da N. am Anfang extrem nett zu ihm war, wurde er zu "seinem besten Freund über 30". In Wirklichkeit betrachtete er sich sehr rasch als sein Vater. So stellte er uns auch seiner Familie vor. "Das ist meine Verlobte, und das ist A., der wird ab jetzt mein Söhnchen sein!" Ich dachte nicht weiter darüber nach, warum er sein eigenes Kind nur alle zwei Wochen zwei Stunden unter Aufsicht sehen durfte. Ich gab mich mit der Erklärung, dass die Exfrau völlig daneben sei, zufrieden. Als Beweis führte N. unter anderem an, dass sie ihn im achten Monat der Schwangerschaft verlassen hätte. Zweiter Fehler.
Ich dachte auch nicht darüber nach, wieso sich eine seiner Exfreundinnen umgebracht hatte. Er sagte schließlich, das wäre nach ihrer Beziehung gewesen. Dritter Fehler.
"Wo ist bei dir der Haken?" fragte mich N. recht bald, und begann einen zu suchen. Er fragte immer wieder und wieder nach meiner Vergangenheit, und ließ sich alles, so genau ich konnte, schildern. Ich tat das. Lange Zeit (eigentlich bis zum Ende) gab es überhaupt kein anderes Thema mehr. Vierter Fehler.
Er machte mich für jedes Gefühl, für seine gesamte Befindlichkeit verantwortlich. Und ich fühlte mich dann auch wirklich so. "Wenn das mit uns nicht wird, bring ich mich um!" sagte er auch recht bald und ich glaubte ihm. Fünfter Fehler.
Wenn er konnte, begleitete er mich überall hin. Das erkärte er als Schutz für mich. Er wollte grundsätzlich wissen, mit wem ich was gesprochen hätte, und wenn er bei mir oder ich bei ihm war, musste er mich immer irgendwo festhalten. Außer am Klo war ich niemals alleine. Sechster Fehler.
Er hielt es nicht aus, dass ich (bevor ich ihn kennen lernte) einen Urlaub mit einer Freundin und deren Kind gebucht hatte. Dort könnten ja auch Männer sein. Ich zahlte die Stornogebühr. Siebter Fehler.
Er fragte mich, was es mir denn gebracht hätte, als ich nach 8 Monaten meine älteste Freundin zum zweiten Mal gesehen hatte. Ich hatte für niemanden mehr Zeit. Hundertster Fehler.
Er bestand darauf, dass ich alle meine Texte vor seinen Augen vernichte. Zweihundertster Fehler.
Er fragte mich zwei Wochen lang, was ich mir dabei gedacht hätte, den Mann vis a vis in einer Gondel anzulächeln. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern und rechtfertigte mich doch. Tausendster Fehler.
Ich stand vor meinem offenen Schlafzimmerfenster im fünften Stock und er schrie "Spring doch!" Das hab ich unterlassen.
*
In der psychosomatischen Klinik gab er sich als mein Ehemann aus. Ich wurde mit einer akuten Psychose eingeliefert und auf "multiple Schizophrenie mit paranoiden Elementen" diagnostiziert. Wie es wirklich ist, Wahnvorstellungen zu haben, weiß ich seit damals. Dass ich da unbedingt medikamentöse Behandlung brauchte, auch.
Später hieß es dann manisch-depressiv. Später hatte ich manchmal auch Panikattacken. Und viel später sagte die Psychiaterin zu mir: "Was ist schon eine Diagnose?" Und hieß es gut, dass ich mit allen Medikamenten aufhörte.
*
In unserem letzten Gespräch – und als ich wieder zur Besinnung gekommen war - sagte N. zu mir: "Aber du hast das alles zugelassen!" Dem kann ich bis heute nicht widersprechen. Obwohl ich jetzt viel mehr Distanz zu dem allem habe.
*
Der Streifen, den die Psychologen, Psychiater,… als "normal" definieren, der ist recht eng. Nicht jede Widrigkeit in meinem Leben macht mich gleich psychisch krank. Manchmal lasse ich auch – aber nur ein bisschen - Traurigkeit zu. Denn auch die gehört zu mir.
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Trackbacks zu diesem Beitrag

panthol.twoday.net - 12. Sep, 23:58

Abschaffung der Pharmakotherapie bei psychischen St

(zuerst ver [weiter]
Kotopulo - 13. Sep, 11:24

Ich musste deinen Text 2 mal lesen und dann noch meine Gedanken ordnen ..... irgendwie kamen Parallelen, Ängste und auch das ewige Gefühl der "Schuld" bei mir wieder auf ..... ich hab es geschafft mich nach 14 Jahren von so einem "Partner" zu trennen - und plötzlich bin ich ein neuer Mensch, habe neue Freunde und viele grosse und kleine Freuden und Erfolge ....
Ich wünsche dir alles alles Liebe und finde zu dir - lass dir dein "ICH" nicht mehr wegnehmen - das ist nicht egoistisch - nein - im Gegenteil ... nur mit einem gesunden "ICH" wirst du als "DU" wahrgenommen, akzeptiert, respektiert und ... auch geliebt!

moccalover - 13. Sep, 13:04

Hart, sehr hart, gehst Du mit Dir ins Gericht!

Waren das wirklich Fehler, hast Du das alles wirklich "zugelassen"? Deine Entscheidungen, die Du Fehler nennst, scheinen natürlich im Rückblick als Fehler; aber Du hattest wohl Deine Gründe, Dich so zu verhalten. Und überhaupt übernimmst Du in dieser Sichtweise doch nur seine Probleme (Deine "Fehler" sind ja lauter Reaktionen auf seine Probleme und gestörten Verhaltensweisen). Aber immerhin wird Dir das sicher nicht wieder passieren.

Dein Text hat mich sehr traurig gestimmt; traurig um Dich. Aber der letzte Abschnitt und überhaupt Deine Haltung machen einen dann wieder zuversichtlich.

sally_ganelli - 15. Sep, 21:03

Was?

Ich wollte mal fragen, was Du in all der ganzen Zeit davon gehabt hast? Ich möchte wissen, was Du an diesem Gefängnis attraktiv gefunden hast.
Wirklich, es interessiert mich, und vielleicht hilft es auch Dir nochmals eingehend darüber nachzudenken, damit Dir sowas in der Art niemals wieder passiert.

la-mamma - 16. Sep, 21:28

was ich davon gehabt habe?

wenig sag ich heute. aber damals hab ich es ja nicht gleich so als gefängnis empfunden. attraktiv fand ich wohl den totalen kontrast zu meinen beiden letzten partnern - das scheint mir ein häufiges muster kurz nach trennungen zu sein. da siehst du einfach das gute der langjährigen beziehung - und das ist viel eher das, was dir entspricht. wenn dann jemand so "ganz anders" ist, lebst du plötzlich wider deine natur.
ich glaube nicht, dass mir so etwas wieder einmal passiert. auf mich mehr aufzupassen, hab ich wohl gelernt. h. (mein jetziger partner) sagte einmal zu mir, nachdem wir sicher schon ein paar monate zusammen waren und er die geschichte zwangsläufig auch einmal (allerdings unaufgefordert und weil es mir ein bedürfnis war, sie zu erzählen) gehört hat: ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass du dir das länger als drei tage gefallen lassen hast ... so viel zum lernen;-)

hier fehlt was;-)

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