Sonntag, 21. Dezember 2008

friedenszins

hörl hießen die hausmeister. die frau immer im schlafrock, immer zur hälfte gefärbte, ausgewachsene dauerwellen und eine schrille stimme dazu. ihr mann unheimlich, immer im unterhemd, als kinder haben wir uns gebührend gefürchtet. der sohn kam auch noch ab und zu vorbei, er sei des öfteren "straffällig" erzählte man einander. und dass man eigentlich nicht lang danach fahnden müsste, wer denn nun den schönen löwenkopf beim stiegenaufgang abmontiert und verkauft hätte.

die familie w. im ersten halbstock, alle sehr klein und alle sehr blass und alle sehr rund. mit der tochter spielten wir nie. die frau daneben lebte sehr zurückgezogen, das sei nur deshalb so gewesen, weil sie sich so für ihren sohn geschämt hätte. der wäre doch der namensgleiche terrorist gewesen, ob ich das nicht gewusst hätte, eröffnete mir meine schwester viel später. zeitlich wär´s möglich, in den siebziger jahren las ich allerdings noch wenig zeitung. und die erinnerungen meiner schwester stimmen erst recht nicht immer.

im ersten stock dann endlich ein mädchen, das wir - wenn auch selten - besuchen durften. die eltern beide schauspieler, die mutter muss einmal eine schönheit gewesen sein. die waren aber daheim alle sehr still, gleichsam verhuscht wirkten sie ohne bühne.

viel eingebildeter die ehemalige volksschullehrerin daneben und damit genau unter uns. wenn eure oma da ist, wackeln bei mir jedesmal die luster, beklagte sie sich lautstark. bis heute stelle ich mir hofratswitwen genau so vor. es hat einfach nicht jeder eine omi, die einen mit viel hallo durch die zimmer jagt. noch dazu konnte man bei uns damals im kreis laufen - also vom vorzimmer ins schlafzimmer ins kinderzimmer ins wohnzimmer ins vorzimmer, das fehlt bei den heutigen grundrissen völlig.

im zweiten halbstock die dame, die halt viel herrenbesuch habe, wie meine eltern das umschrieben. später hatte sie dann einen sehr großen hund statt ihres zuhälters. und war immer ausgesprochen freundlich zu uns.
daneben die besitzer der autowerkstätte im hof, denen sah ich lange in die küche hinein, deshalb weiß ich, dass er zu hause auch feinripp bevorzugte. selbst im tiefsten winter.

wir wohnten dann im zweiten stock, das waren immerhin schon achtundsiebzig stufen ohne lift. der wurde erst eingebaut, als ich schon lange ausgezogen war. albträume von stiegenhäusern, in denen man nur entweder hinunter oder hinauf gehen kann. bis heute mag ich die escherbilder mit stufen am liebsten.

kinderwägen unten abzustellen, war natürlich verboten.
später woche für woche das gepäck fürs wochenende hinunter, am sonntag abend wieder hinauf. urlaubsreisen hatten immer ein etwas anstrengendes ende. und im winter trug mein vater im winter jeden zweiten freitag nachmittag das öl von der nächstgelegenen tankstelle in zwei kanistern hinauf. in ca. 5 durchgängen mindestens. als wir groß genug waren, ihm dabei helfen "zu dürfen", waren wir nicht gerade glücklich darüber. bei meiner mutter mussten wir sowieso unserer meinung nach viel zu viel mithelfen. und das waren auch lauter sachen, die wir nicht ausstehen konnten.

mir wiederum sah später die frau deutsch ins fenster meines fünfeckigen neuen zimmers, das aus dem "kalten zimmer", am anderen ende der wohnung mit 13 für mich geschaffen worden war. das war aber eine so liebe, feine alte dame, dass es nichts ausmachte.
die nummer vom kz konnte man auf ihrem unterarm sehen, nicht dass sie die hergezeigt hätte, aber da meine mutter sie alle zwei wochen zum kaffee einlud, merkten wir es irgendwann.

ihr sohn lebte in england, den hatte sie noch auf einem kindertransport mitschicken können. nach ihrem mann wurde nicht gefragt. sie brachte uns immer süßigkeiten mit, es war uns peinlich. welche schokolade esst ihr am liebsten, wollte sie einmal wissen. kochschokolade, sagte ich sofort, da muss ich schon fünfzehn gewesen sein. sonst hätte ich nicht gewusst, dass die am billigsten war.

zum glück erzählte meine mutter der frau deutsch einmal vom lustigen zufall, unseren allerweltsnamen auf den fensterrahmen entdeckt zu haben. sie hätte immer gedacht, wir wären mit denen verwandt, meinte die frau deutsch. sie sei froh und jetzt glaube sie auch, dass es nicht so sei. die hätten sie nämlich angezeigt. damals.

mit der frau g. über uns war die frau deutsch wiederum nicht gut, aber aus einem späteren grund. die beiden waren nämlich nach dem krieg fast freundinnen geworden. aber als die frau g. sie einmal gebeten hätte, ihr einen tisch aus der bei der frau deutsch eingestellten küche des damals schon in jerusalem amtierenden bürgermeisters zu überlassen, hätte die ihr das nein nicht verzeihen können. erst als die frau deutsch gestorben war, ließ der sohn dann alles entrümpeln.

das ehepaar neben uns waren die kohouts aus böhmen - und ich erfinde auch das nicht: er war schneider und sie köchin. eine ganz ausgezeichnete, manchmal schmecke ich noch die selbergemachten mohnnudeln, die sie uns oft am abend herüberbrachte.
sie höre unser klavierspiel gerne, versicherte sie meiner mutter oft. und das obwohl wir wirklich stümperhaft spielten. bei ihr drüben zu sein, war wie bei einer zweiten großmutter zu sein. nie habe ich sie unfreundlich erlebt, sie wurde bald witwe und selber fast hundert. bis zum schluss kümmerte sie sich auch noch um ihre nussbäume in ihrem nicht weit entfernten garten.

zu meiner standesamtlichen hochzeit kam sie noch hochbetagt, die kirchliche sei zu weit weg für sie, ob ich das auch gelten lasse, fragte sie. als sie mich plötzlich siezte, weil ich doch erwachsen geworden war, und ich sie energisch bat, das zu unterlassen, gab sie mir ein bussi. mit tränen in den augen, ich hab es gesehen.

die barfrau von oberhalb war eine besonders imposante erscheinung. ihr begneten wir oft mit ihren zwei chow-chows. auch wenn sie nicht zur arbeit sondern nur die hunde äußerln ging, waren die blonden locken hoch aufgetürmt, der mund stark geschminkt und ihre augen hätten mit und ohne schminke auch an die frau davis erinnert ... ich glaube, sie war eine sehr gute barfrau.

meine eltern sind zwanzig jahre nach mir von dort ausgezogen. die frei werdenden wohnungen in bester lage werden dann immer sehr rasch saniert und sehr teuer wiedervermietet. die meisten, die noch friedenszins zahlten, sind heute tot. manchmal schaue ich zu den fenstern hinauf, nur ob da licht brennt.
1446 mal angeklickt. oder gar gelesen?

Landemyth

Autorin: Natalia Hartmann, 2008
ISBN: 978-3-85251-252-5

Hier geht es zum Originalklappentext . ACHTUNG: In diesem Fall ist das GANZE Buch vorhanden! Man kann soll es sogar kaufen;-)


Rezension (von mir)

Ingunar erzählt seine Abenteuer in Landemyth, wo er seinen Urlaub auf Wunsch seiner Freundin – ein wenig unerwartet mit der Suche nach ihr - verbringt. Er schwankt dabei zwischen seinem alten Ich als gut aussehendem, selbstsicherem Anwalt und der ihm in der witzig und durchdacht konstruierten Fantasiewelt zugeteilten Rolle. Er ist durchaus einer, der sich fügen kann – ob er das nun gut oder schlecht findet, wird er für sich begreifen lernen. In ihm steckt überhaupt mehr – von Beginn an zweifelt er an der Angemessenheit seiner Handlungen, schon bald nimmt er das Spiel äußerst ernst. Er bemüht sich um Ehrlichkeit bei seinen Tagebucheinträgen, er wird uns so sympathisch, dass wir Frau Hartmann gewisse Details aus seinem „richtigen Leben“ am Ende gar nicht mehr abnehmen wollen.
Das Buch ist zeitweise richtig spannend, sehr gut erzählt, und dass die Autorin allen Suchenden und ihren Methoden Respekt erweist und sie gleichzeitig ein wenig aufs Korn nimmt, hat mir besonders gut gefallen.


Offener Leserbrief (von mir)

Liebe Frau Hartmann,

Ihr Buch hat mir gefallen! Sie haben eine gute Geschichte spannend erzählt. Ich werde über ein paar der angerissenen „Wege“ zu sich selbst nachdenken.

Fürs nächste Buch wünsche ich Ihnen einen anderen Verlag – samt einem besseren Lektorat.
Die Rechtschreibfehler tun ein bisschen weh, und ein paar andere Kleinigkeiten, die ein Lektor oder eine Lektorin wohl angemerkt hätten. (Wozu nach meinem Ermessen auch ganz kleine Streichungen und eine größere gehören sollten.)

Wenn Sie das genauer wissen wollen, schicke ich Ihnen gerne eine E-mail, hier möchte ich nicht zu viel verraten, bzw. wäre die Kritik ohne vorherige Lektüre sowieso nicht nachvollziehbar. Auf jeden Fall hätte mir ein anderes Ende besser gefallen.

Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch – ich hab das Buch wirklich gerne gelesen, und bin voller Hochachtung für Ihre Originalität!

Liebe Grüße,
la-mamma
1084 mal angeklickt. oder gar gelesen?

hier fehlt was;-)

Zufallsbild

Brondon

Umfassendes Österreichbildwetter

Aktuelle Beiträge

Lieber Xaver (14)
Nächste Woche melden wir dich in der HTL für Chemie...
la-mamma - 3. Feb, 16:45
Nennen wir ihn Yuriy
Du bist 15 Jahre alt und ein großer Rammsteinfan. Mit...
la-mamma - 14. Mai, 08:56
It's always the Cello!
It's always the Cello!
NeonWilderness - 12. Mai, 01:26
bezaubernd schön ...
So gebannt wie gestern vom "Wohnzimmerkonzert" des...
la-mamma - 11. Mai, 17:46
Unter Nichtausschluss...
endete gestern in St. Pölten das vom Institut für narrative...
la-mamma - 23. Apr, 17:32
Seit gestern ...
hab ich einen neuen Beruf: Ich bin jetzt Literaturbloggerin....
la-mamma - 22. Apr, 16:01
Sie haben´s, Frau Araxe,...
Sie haben´s, Frau Araxe, und ich hab mich mit dem Datum...
la-mamma - 22. Apr, 07:53
3 2 1
die hauptaction ist heute. der bericht darüber morgen,...
la-mamma - 22. Apr, 07:49

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Die Statistik seit August 2010

kostenloser Counter



Meine Kommentare

Oder Oberwasser?
Oder Oberwasser?
Schwallhalla - 30. Mär, 08:33
Ruhen Sie noch auf Ihrer...
Ruhen Sie noch auf Ihrer Ottomane?
Schwallhalla - 28. Feb, 13:03
Aber jetzt bin ich bei...
Aber jetzt bin ich bei Forelle - da war ich natürlich...
Schwallhalla - 4. Feb, 00:36
Sechs sie = sexy ist...
Sechs sie = sexy ist es garantiert auch nicht;-)
Schwallhalla - 4. Feb, 00:32
Nach sorgfältiger Kommentarlektüre...
Nach sorgfältiger Kommentarlektüre werf ich Quartier...
Schwallhalla - 29. Jan, 10:46

Suche

 

Status

Online seit 6831 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 3. Feb, 16:45

Credits


A - DER KRIMI (Teil 2 zum nachlesen ...)
A-DER KRIMI - was bisher geschah ..
aus der volksschule
bitte lächeln
bücher
coronatagebuch
DAS EXPERIMENT
family affairs
freitagstexter
lyrics;-)
mal was andres..
märchen sozusagen
mein beitrag zur integrationsdebatte
musik und so
projekt *.txt
rätsel
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren