wahnsinn?
der grund für den wahnsinn steckt in einer geschichte voller selbstverlust und selbstentleibung. er setzt ein süchtiges liebesverhältnis voraus, das seine wahrheit beherrscht, das in einem geschlossenen lebensraum anhaltend bestanden hat und im gedächtnis fortbesteht.
aber der wahnsinn besteht auch darin, dass er dieses machtverhältnis in sich selbst weiterführt und seine zwischenmenschlichen lebensverhältnisse hierunter fortbestimmt. es ist daher völlig falsch, dem wahn eine besondere wahrheit zu verleihen, als wäre er der schamane unter den eunuchen. der wahn verliert seine notwendigkeit nur dadurch, dass sich ein mensch - meist muss es der oder die betroffenen selbst sein - zwischen die mächte der aufgehobenen identität, zwischen dem nichts und nichts anderes als etwas anderes wirklich zu machen versteht, also als wirklich veränderter mensch fortbesteht.“
(Zitat nach: http://www.kulturkritik.net/Lex/w.html)
Das ist die beste Definition, die ich je darüber gelesen habe.
Und weil ich mich relaTIEF auch deshalb wieder einmal erinnert habe, wie das eigentlich war, das folgende Stückchen Vergangenheit:
*
ich lernte N. beim Schifahren kennen, wir wohnten 743 km entfernt voneinander. Nach 8 Jahren Fernehe habe ich mir zugetraut, eine Fernbeziehung zu führen. Ich unterschätzte die Sehnsucht dabei. Erster Fehler.
A. lernte N. gleich mitkennen. Und da N. am Anfang extrem nett zu ihm war, wurde er zu "seinem besten Freund über 30". In Wirklichkeit betrachtete er sich sehr rasch als sein Vater. So stellte er uns auch seiner Familie vor. "Das ist meine Verlobte, und das ist A., der wird ab jetzt mein Söhnchen sein!" Ich dachte nicht weiter darüber nach, warum er sein eigenes Kind nur alle zwei Wochen zwei Stunden unter Aufsicht sehen durfte. Ich gab mich mit der Erklärung, dass die Exfrau völlig daneben sei, zufrieden. Als Beweis führte N. unter anderem an, dass sie ihn im achten Monat der Schwangerschaft verlassen hätte. Zweiter Fehler.
Ich dachte auch nicht darüber nach, wieso sich eine seiner Exfreundinnen umgebracht hatte. Er sagte schließlich, das wäre nach ihrer Beziehung gewesen. Dritter Fehler.
"Wo ist bei dir der Haken?" fragte mich N. recht bald, und begann einen zu suchen. Er fragte immer wieder und wieder nach meiner Vergangenheit, und ließ sich alles, so genau ich konnte, schildern. Ich tat das. Lange Zeit (eigentlich bis zum Ende) gab es überhaupt kein anderes Thema mehr. Vierter Fehler.
Er machte mich für jedes Gefühl, für seine gesamte Befindlichkeit verantwortlich. Und ich fühlte mich dann auch wirklich so. "Wenn das mit uns nicht wird, bring ich mich um!" sagte er auch recht bald und ich glaubte ihm. Fünfter Fehler.
Wenn er konnte, begleitete er mich überall hin. Das erkärte er als Schutz für mich. Er wollte grundsätzlich wissen, mit wem ich was gesprochen hätte, und wenn er bei mir oder ich bei ihm war, musste er mich immer irgendwo festhalten. Außer am Klo war ich niemals alleine. Sechster Fehler.
Er hielt es nicht aus, dass ich (bevor ich ihn kennen lernte) einen Urlaub mit einer Freundin und deren Kind gebucht hatte. Dort könnten ja auch Männer sein. Ich zahlte die Stornogebühr. Siebter Fehler.
Er fragte mich, was es mir denn gebracht hätte, als ich nach 8 Monaten meine älteste Freundin zum zweiten Mal gesehen hatte. Ich hatte für niemanden mehr Zeit. Hundertster Fehler.
Er bestand darauf, dass ich alle meine Texte vor seinen Augen vernichte. Zweihundertster Fehler.
Er fragte mich zwei Wochen lang, was ich mir dabei gedacht hätte, den Mann vis a vis in einer Gondel anzulächeln. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern und rechtfertigte mich doch. Tausendster Fehler.
Ich stand vor meinem offenen Schlafzimmerfenster im fünften Stock und er schrie "Spring doch!" Das hab ich unterlassen.
*
In der psychosomatischen Klinik gab er sich als mein Ehemann aus. Ich wurde mit einer akuten Psychose eingeliefert und auf "multiple Schizophrenie mit paranoiden Elementen" diagnostiziert. Wie es wirklich ist, Wahnvorstellungen zu haben, weiß ich seit damals. Dass ich da unbedingt medikamentöse Behandlung brauchte, auch.
Später hieß es dann manisch-depressiv. Später hatte ich manchmal auch Panikattacken. Und viel später sagte die Psychiaterin zu mir: "Was ist schon eine Diagnose?" Und hieß es gut, dass ich mit allen Medikamenten aufhörte.
*
In unserem letzten Gespräch – und als ich wieder zur Besinnung gekommen war - sagte N. zu mir: "Aber du hast das alles zugelassen!" Dem kann ich bis heute nicht widersprechen. Obwohl ich jetzt viel mehr Distanz zu dem allem habe.
*
Der Streifen, den die Psychologen, Psychiater,… als "normal" definieren, der ist recht eng. Nicht jede Widrigkeit in meinem Leben macht mich gleich psychisch krank. Manchmal lasse ich auch – aber nur ein bisschen - Traurigkeit zu. Denn auch die gehört zu mir.
aber der wahnsinn besteht auch darin, dass er dieses machtverhältnis in sich selbst weiterführt und seine zwischenmenschlichen lebensverhältnisse hierunter fortbestimmt. es ist daher völlig falsch, dem wahn eine besondere wahrheit zu verleihen, als wäre er der schamane unter den eunuchen. der wahn verliert seine notwendigkeit nur dadurch, dass sich ein mensch - meist muss es der oder die betroffenen selbst sein - zwischen die mächte der aufgehobenen identität, zwischen dem nichts und nichts anderes als etwas anderes wirklich zu machen versteht, also als wirklich veränderter mensch fortbesteht.“
(Zitat nach: http://www.kulturkritik.net/Lex/w.html)
Das ist die beste Definition, die ich je darüber gelesen habe.
Und weil ich mich relaTIEF auch deshalb wieder einmal erinnert habe, wie das eigentlich war, das folgende Stückchen Vergangenheit:
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ich lernte N. beim Schifahren kennen, wir wohnten 743 km entfernt voneinander. Nach 8 Jahren Fernehe habe ich mir zugetraut, eine Fernbeziehung zu führen. Ich unterschätzte die Sehnsucht dabei. Erster Fehler.
A. lernte N. gleich mitkennen. Und da N. am Anfang extrem nett zu ihm war, wurde er zu "seinem besten Freund über 30". In Wirklichkeit betrachtete er sich sehr rasch als sein Vater. So stellte er uns auch seiner Familie vor. "Das ist meine Verlobte, und das ist A., der wird ab jetzt mein Söhnchen sein!" Ich dachte nicht weiter darüber nach, warum er sein eigenes Kind nur alle zwei Wochen zwei Stunden unter Aufsicht sehen durfte. Ich gab mich mit der Erklärung, dass die Exfrau völlig daneben sei, zufrieden. Als Beweis führte N. unter anderem an, dass sie ihn im achten Monat der Schwangerschaft verlassen hätte. Zweiter Fehler.
Ich dachte auch nicht darüber nach, wieso sich eine seiner Exfreundinnen umgebracht hatte. Er sagte schließlich, das wäre nach ihrer Beziehung gewesen. Dritter Fehler.
"Wo ist bei dir der Haken?" fragte mich N. recht bald, und begann einen zu suchen. Er fragte immer wieder und wieder nach meiner Vergangenheit, und ließ sich alles, so genau ich konnte, schildern. Ich tat das. Lange Zeit (eigentlich bis zum Ende) gab es überhaupt kein anderes Thema mehr. Vierter Fehler.
Er machte mich für jedes Gefühl, für seine gesamte Befindlichkeit verantwortlich. Und ich fühlte mich dann auch wirklich so. "Wenn das mit uns nicht wird, bring ich mich um!" sagte er auch recht bald und ich glaubte ihm. Fünfter Fehler.
Wenn er konnte, begleitete er mich überall hin. Das erkärte er als Schutz für mich. Er wollte grundsätzlich wissen, mit wem ich was gesprochen hätte, und wenn er bei mir oder ich bei ihm war, musste er mich immer irgendwo festhalten. Außer am Klo war ich niemals alleine. Sechster Fehler.
Er hielt es nicht aus, dass ich (bevor ich ihn kennen lernte) einen Urlaub mit einer Freundin und deren Kind gebucht hatte. Dort könnten ja auch Männer sein. Ich zahlte die Stornogebühr. Siebter Fehler.
Er fragte mich, was es mir denn gebracht hätte, als ich nach 8 Monaten meine älteste Freundin zum zweiten Mal gesehen hatte. Ich hatte für niemanden mehr Zeit. Hundertster Fehler.
Er bestand darauf, dass ich alle meine Texte vor seinen Augen vernichte. Zweihundertster Fehler.
Er fragte mich zwei Wochen lang, was ich mir dabei gedacht hätte, den Mann vis a vis in einer Gondel anzulächeln. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern und rechtfertigte mich doch. Tausendster Fehler.
Ich stand vor meinem offenen Schlafzimmerfenster im fünften Stock und er schrie "Spring doch!" Das hab ich unterlassen.
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In der psychosomatischen Klinik gab er sich als mein Ehemann aus. Ich wurde mit einer akuten Psychose eingeliefert und auf "multiple Schizophrenie mit paranoiden Elementen" diagnostiziert. Wie es wirklich ist, Wahnvorstellungen zu haben, weiß ich seit damals. Dass ich da unbedingt medikamentöse Behandlung brauchte, auch.
Später hieß es dann manisch-depressiv. Später hatte ich manchmal auch Panikattacken. Und viel später sagte die Psychiaterin zu mir: "Was ist schon eine Diagnose?" Und hieß es gut, dass ich mit allen Medikamenten aufhörte.
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In unserem letzten Gespräch – und als ich wieder zur Besinnung gekommen war - sagte N. zu mir: "Aber du hast das alles zugelassen!" Dem kann ich bis heute nicht widersprechen. Obwohl ich jetzt viel mehr Distanz zu dem allem habe.
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Der Streifen, den die Psychologen, Psychiater,… als "normal" definieren, der ist recht eng. Nicht jede Widrigkeit in meinem Leben macht mich gleich psychisch krank. Manchmal lasse ich auch – aber nur ein bisschen - Traurigkeit zu. Denn auch die gehört zu mir.
la-mamma - 12. Sep, 18:18
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