Mittwoch, 13. Januar 2016

Meine weiße Latzhose

ein beitrag, zu kleider machen leute

Als meine Mama vom ersten Elternsprechtag in der zweiten Klasse Volksschule nach Hause kam und mir verkündete, dass ich in Schönschreiben und Handarbeiten keine Einser sondern Zweier im Zeugnis bekommen würde, legte ich mich aufs Bett und weinte eine halbe Stunde bitterlich.

Beides konnte ich nicht, weil ich ein nervöses Kind war, das immer schwitzige Hände hatte. Heute reagiert mein Handy oft nicht auf mein Wischen, weil die Hände immer so staubtrocken sind. Schönschreiben hab ich mir nach der Schule angewöhnt, weil wir auf der Uni damals nur nach unseren eigenen Mitschriften lernen konnten. Und Häkeln und Stricken waren bis vor ein paar Wochen noch immer nicht gerade meine größten Talente.

Ungefähr mit 12 schenkten mir meine Großeltern eine Nähmaschine. Und ab dem Zeitpunkt fand ich Handarbeiten überhaupt nicht mehr schrecklich. Weil es mir die Oma beibrachte. Weil es schnell ging. Weil sonst niemand einen Opa hatte, der die Nähmaschine auch reparieren und pflegen konnte. Heute reicht es bei mir zwar auch nur mehr zum Vorhänge Nähen und Hosen Kürzen, aber damals war ich plötzlich das größte Genie im Handarbeitsunterricht. Während die anderen noch die Fäden verkehrt herumwickelten, am Stoff herumzerrten, das Pedal völlig unkontrolliert traten, die falschen Stiche einstellten, Knopflöcher zunähten, Nadeln abbrachen, setzte ich mich hin und nähte und nähte.

Unsere damalige Handarbeitslehrerin war nicht besonders gut im Erklären und vor allem besonders schlecht im Zuschneiden. Während mir praktisch immer klar war, wie man einen Schnitt möglichst sparsam aufzulegen hatte, schnitt sie mit ungebremster Begeisterung durch nicht aufgefaltete Stoffbahnen, hatte überhaupt kein Gefühl dafür, dass Muster nicht besonders wirken, wenn sie irgendwie aufeinander stoßen, und ruinierte wirklich jeder, die so dumm war, sich von ihr helfen zu lassen, bei jedem Zugriff ihrerseits, was immer es zu ruinieren gab. Vielleicht konnte sie ja Makramee, Batiken oder Töpfern, vielleicht ja sogar Stricken oder Häkeln, Nähen konnte sie definitiv nicht.

Niemandem wäre es eingefallen, im Handarbeitsunterricht ehrgeizig zu werden, oder gar ein irgendwie fertiges Produkt anzustreben. Niemandem außer mir. Denn ich wollte eine weiße, enge Latzhose haben. Die hätte mir meine Oma zwar auch jederzeit genäht, aber ich wollte diese weiße Latzhose einfach selbst machen. Alles hab ich mir zu Hause vorbereitet, jede Naht sorgfältigst vorher geheftet, und jede Woche das immer weiter fortschreitende Werk keinesfalls im Unterricht aus der Hand gegeben. Obwohl ich dann ja doch auch irgendwie zwischendurch vor Augen des „Haschpels“, wie meine Großmutter die Handarbeitslehrerin zu nennen pflegte, daran arbeitete, glaubte sie mir bis zum Schluss nicht, dass ich diese Hose selbst genäht hatte.

Mindestens einmal in der Woche – egal ob Winter oder Sommer (es war ein eher dünnerer Stoff) hab ich diese Hose angezogen. Bei meinem ersten Kuss hab ich sie angehabt, in jeden Urlaub hab ich sie mitgenommen. Meine Mutter war weniger glücklich, weil weiße Hosen auch ungefähr genauso oft gewaschen wie getragen werden. Ich hab sie auch noch mit aufgekrempelten Beinen getragen, als sie mir zu kurz wurde - bis ich sie beim besten Willen nicht mehr über meine sich leider zwischen 12 und 16 deutlich veränderten Beine ziehen konnte. Eigentlich hätte ich sie aufheben sollen.
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Trithemius - 13. Jan, 17:47

Glückwunsch zu Text und Hose! Deine Geschichte hat für mich etwas wunderschön Nostalgisches. Als Referendar an einem Mädchengymnasium habe ich noch Handarbeitsunterricht erlebt. Er hieß in NRW "Textilgestaltung" und verschwand mit den Mädchenschulen. Heute ist Nähen vermutlich so aus der Zeit gerutscht wie Feuermachen, obwohl es gewiss stolz macht, wenn man sich die Mode selber schneidern kann.

wortmischer - 13. Jan, 18:59

Aus der Zeit gerutscht

Ja, das ist wohl wahr. Allerdings gibt es schon auch Schulen, in denen noch immer großer Wert auf handwerkliche Fähigkeiten gelegt wird. Und tatsächlich rentiert sich das spätestens ein paar Jahre nach dem Abitur:
Meine Tochter 1.0 (23) bekommt seit zwei Jahren alle paar Wochen Szenenapplaus, wenn sie in ihrer Studiengemeinschaft wieder mal eines ihrer Selbermacherprojekte ankündigt. - Adventskranzbinden, selbstgenähte Kuscheltiere, ... demnächst selbst genähte Sommerkleider ...

(Das nur mal so am Rande. Und ich kann La-Mammas Stolz auf die selbst genähte Latzhose sehr gut nachfühlen.)
la-mamma - 14. Jan, 11:12

das mit dem handarbeitunterricht war bei uns auch eine witzige entwicklung. nach meiner schulzeit war es eine weile sogar umgekehrt modern - die buben mussten stricken und häkeln lernen und die mädchen durften sägen und löten. aber auch davon ist man wieder abgekommen ....

und ich freu mich natürlich über deinen glückwunsch, danke schön!
wortmischer - 13. Jan, 19:01

Warum aufheben? - Eine neue nähen!

Ich hab die Geschichte wirklich sehr gern gelesen, inzwischen schon zum dritten Mal. Herzerwärmend. Bestätigend. Und außerdem schön geschrieben. - Vielen Dank für diese Bereicherung meines Kleider-machen-Leute-Projektes!

la-mamma - 14. Jan, 11:14

ich könnte es nicht mehr so schön. und vor allem wär ich nicht mehr so schön mit so einem kleidungsstück anzusehen;-)

und es freut mich natürlich sehr, wenn mir was herzerwärmendes gelungen ist! auch danke für dieses lob!
wortmischer - 14. Jan, 12:13

Also, ich muss schon sagen: Mit Selbstbewusstsein seid Ihr Österreich-Mädels nicht gerade gesegnet!

(Unter einem Kleiderprojektbeitrag anderswo hat die Barbara Lehner schon geklagt und damit eine Diskussion ausgelöst, und hier fangen Sie jetzt auch noch an. Das muss anders werden!)
la-mamma - 14. Jan, 15:51

also - so schlimm hab ich das gar nicht gemeint, ich fühl mich eh recht wohl in meiner haut UND in meiner kleidung. und ich hab auch kein problem ohne kleidung - um auf die verlinkung einzugehen.
weiße enge hosen schauen trotzdem nicht mehr gut aus an mir! wenn sie es täten, würd ich sie anziehen. außer dass ich sie auch noch selber dauernd waschen müsste, spräche ja nix dagegen;-)
zuckerwattewolkenmond - 13. Jan, 22:49

Bei uns

gab es gar keinen Handarbeitsunterricht. Aber wegen der damals reduzierten Möglichkeiten, moderne Kleidung in der DDR zu kaufen, hat man sich das gerne alles selbst beigebracht. Ich nähte mir damals aus einem abgelegten Talar meines Vaters eine der damals hippen Steghosen und trug dazu ein von mir abgeändertes Pyjamaoberteil von ihm, im Stil von Samantha Fox. (Ich finde das Teil, das sie damals bei einem Fernsehauftritt trug, in den Videos leider nicht.)

la-mamma - 14. Jan, 11:16

ui, so einen talarstoff stelle ich mir sehr dunkel und sehr rutschig vor. war es so?

ps: ich hab nur die weißen hemden von meinem vater "aufgetragen", das war auch eine zeitlang enorm chic - abändern musste ich die aber zum glück nicht;-)
testsiegerin - 14. Jan, 20:10

au ja, die weißen hemden meines Papas hab ich auch liebend gerne getragen. (Und die Oma hat verlangt, das IN die Jeans reinzustecken) Was er nicht so lustig gefunden hat, wenn er für einen Auftritt mit der Musikkapelle eins gebraucht hätte und keins gefunden hat.
zuckerwattewolkenmond - 14. Jan, 21:45

Also schwarz

ist ja generell dunkel, sollte es aber auch.
Etwas rutschiger als reine Baumwolle war der Stoff schon, aber hatte dafür den Vorteil, daß darauf nicht so leicht Fussel hängen blieben, was sonst bei schwarz sehr lästig ist. ;o)
Das Pyjamaoberteil änderte ich dahingehend ab, daß es Bauchnabel kurz wurde, deshalb war ändern unausweichlich. Außerdem bestickte ich die Brusttasche mit einem Schriftzug.
C. Araxe - 16. Jan, 11:39

@Frau zuckerwattewolkenmond
Huch? Kein Fach Nadelarbeit? War zwar fakultativ, dürfte aber trotzdem überall angeboten worden sein.
zuckerwattewolkenmond - 16. Jan, 11:59

Nein,

bei mir gab es auch fakultativ kein Fach Nadelarbeit. Ob das anderen Schulen anders war, weiß ich nicht, aber da in der DDR auch der Unterricht genormt war, glaube ich das nicht. Ich glaube jedoch, daß es in früheren Jahren vor mir dieses Fach gab. Vielleicht war es bei mir gerade abgesetzt worden.
C. Araxe - 16. Jan, 12:29

In der Zeit von 1959 bis 1971 war das Fach Nadelarbeit in der DDR obligatorisch für alle Schüler der 3. und 4. Klasse. Ab dem 1. September 1971 wurde es fakultativ in der 4. und 5. Klasse angeboten. Auf den Zeugnisvordrucken stand es auch drauf. Hier sind beispielsweise Lehrpläne. Sollten Sie das so verdrängt haben? ;·)
zuckerwattewolkenmond - 16. Jan, 12:59

Nein,

ich habe es ganz gewiß nicht verdrängt, denn ich weiß, daß es auf den Zeugnisvordrucken drauf stand und daß ich es immer total bedauert und auch nicht verstanden habe, daß es nicht als Fach angeboten wird. Ich hätte es nämlich sofort belegt, weil ich der Meinung war, das sei mal wirklich etwas nützliches. So mußte mir meine Mutter immer sämtliche Sachen von Strümpfe stopfen, Knöpfe annähen bis hin zu stricken und häkeln zeigen. Für sie wäre es sicher auch eine Entlastung gewesen. ;o)
Da ich 1970 geboren wurde, kann ich es mir nur so erklären, daß sie vielleicht für die zwei Jahre fakultativen Unterricht, für den sich wohl nicht viele Schüler gemeldet haben, dann keine extra Lehrer mehr hatten.
C. Araxe - 16. Jan, 13:07

Beim fakultativen Französischunterricht war es ja auch oft so, dass der aus Fachlehrermangel nicht angeboten werden konnte.
zuckerwattewolkenmond - 16. Jan, 13:14

Dann war

es wohl so. Eine Französischlehrerin hatten wir aber.
Shhhhh - 14. Jan, 12:22

Es geht nichts über Selbstgemachtes. Sogar wenn es so perfekt ist, dass man/frau sich damit, also dem Umstand es selbst fabriziert zu haben, unglaubwürdig macht, kann diese Freude nicht mindern. Schade wäre es allerdings, wenn es sich auf die Benotung ausgewirkt hätte.

la-mamma - 14. Jan, 15:52

die benotung weiß ich gar nicht mehr, man wird das ja später auch so selten gefragt;-)
diefrogg - 14. Jan, 18:22

So eine schöne Story!

Da kommen mir allerhand Erinnerungen an Selbstgenähtes - allerdings habe ich immer zwei linke Hände gehabt, eine Latzhose hätte ich nie hinbekommen. Aber meine Mutter hat mit einmal einen erdbeerroten Morgenrock genäht. Den trug ich immer, wenn ich als Kind zu Hause Disco spielte.

la-mamma - 18. Jan, 11:05

oh dank dir auch fürs kompliment!
ps: ich hab als kind nicht disco spielen können, da wusste ich ja noch gar nicht, dass es so was gibt;-)
testsiegerin - 14. Jan, 20:07

Schön, dass du bei dem Projekt dabei bist. Ich hab mich übrigens gestern eh ziemlich gewundert, als ich dich mit Strickzeug gesehen hab.

Ich habe ja zweimal wöchentlich je 4 Stunden Nähen. Ich hasse Nähen. Einmal hat mir Nähen getaugt, da bin ich in der Schule während des Kinderkleidchens in Trance gefallen und hab es irrtümlich rundherum zugenäht.

la-mamma - 18. Jan, 11:06

ja, ich hätt auch was über stutzen für den herrn wm schreiben können. als neo-expertin sozusagen;-)
tikerscherk (Gast) - 17. Jan, 15:04

Ein Blogstöckchen wartet drüben bei mir auf Sie.

la-mamma - 18. Jan, 11:03

schon gefangen, aber ich muss es noch ein bisschen "abliegen" lassen;-)

hier fehlt was;-)

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