stammbuch

Donnerstag, 25. Februar 2016

eine ganz andere schrift ...

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heuer müssen wir ja auch nicht mehr nach kirchdorf fahren, sagte meine schwester, und meinte unsere gemeinsamen oder hintereinander gelagerten besuche vor, zu oder gleich nach weihnachten bei dir, der du zwar nicht unser leiblicher opa, aber auf jeden fall unser wirklicher und einziger opa warst.

jetzt würdest du gern auch noch 95 werden, hast du uns zum 91er verkündet, dem letzten geburtstag, den du erlebt hast. schade, dass es dir nicht gelungen ist.

"nur ein erfülltes leben" zählt - das hattest du wohl. dass du deine erinnerungen immer besser angepasst hast, dass sie im lauf der jahre einfach immer besser geworden sind, das predigen sie mir heute in vorträgen übers glück als anleitung. meine eltern haben dir das übel genommen, aber die haben noch nie ein talent zur freude gehabt.

die lebensfreude, die du mit meiner großmutter (und auch mit uns, ihren enkelinnen) geteilt hast, die werde ich nie vergessen. bei dir mussten wir nicht erst erwachsen werden (wie bei meinem onkel), um uns geliebt und akzeptiert zu fühlen. wir sollten wohl leise sein, wenn du dich vom nachtdienst ausschlafen wolltest, an mehr einschränkungen kann ich mich nicht erinnern. und dass ich unendlich gerne als kind zu euch gekommen bin und glücklich über jeden tag ferien war ...

vier sprachen hätte die omi gesprochen, hast du am schluss behauptet, dabei war es eher ihre herzlichkeit, mit der sie sich praktisch mit jedem verständigen konnte, auch wenn sie außer grüßen und sich zu bedanken nicht so wirklich viel wusste.

wie seltsam, dass ich erst bei deinem begräbnis deinen halbbruder kennen lernte. und darüber hinaus erfuhr, dass du auch noch einen sohn (anerkannt) hattest, der von deinem bruder gezeugt wurde, als du anstatt deiner ersten frau im gefängnis warst.

"ein mensch muss ins ganze wachsen", hast du mir geschrieben, noch lange bevor wir wussten, wie sehr du selbst noch wachsen konntest. 16 jahre lang hast du meine omi gepflegt, über sie gewacht, sie geliebt bis zum ende, und für sie jede selbständigkeit aufgegeben.

"ich vermisse meinen opa leo", sagt der x. manchmal. warum er das sagt, weiß ich nicht so genau, er hat dich doch nur dreimal gesehen, woran er sich auch nur sehr ungefähr erinnern dürfte.

wie auch immer: ich vermisse dich auch!
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Donnerstag, 17. Dezember 2015

talent

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ich fand immer, dass nike den schönsten namen (vor- und zu-) in unserer ganzen klasse hatte. wahrscheinlich hat sie ihn deshalb nie geändert. beim googlen hab ich gerade gesehen, dass sie durchaus was mit schrift zu tun bekommen hat.
in zeiten, wo bei uns diskutiert wird, die kinder nur mehr druckbuchstaben zu lehren, wird sie die schulausgangsschrift wohl bald neu herausgeben müssen.

dabei hätt ich sie mir auch als opernsängerin vorstellen können. ich habe heute noch ihre stimme im ohr, wie sie bei einem ohne jeglichen lehrereinfluss veranstalteten konzert die selbstkomponierten lieder eines anderen klassenkollegen gesungen hat. mein bescheidener beitrag dazu waren zwei texte, die er auch vertont hat, und die irgendwo zwischen pubertär poetisch bis pubertär kritisch anzusiedeln waren - ich wollte, ich fände sie noch.

ob sie bei uns maturiert hat, weiß ich gar nicht mehr - wie in fast allen schulen, wurden nicht alle talente und nicht alle schülerinnen gleich behandelt, und latein und altgriechisch, englisch oder mathematik zähl(t)en viel mehr als kreativität singen und zeichnen.

im glück solle ich nicht übermütig sein, hat sie mir geschrieben. das finde ich nicht ganz einfach, den vorwurf, dass ich in meinem glück schlicht nicht merke, dass die anderen nicht ganz so glücklich damit sind, hab ich durchaus schon gehört.

und ich bin oft sogar im unglück übermütig, oder weigere mich eher, unglücklich zu sein. womit ich natürlich einfach nur meinem vornamen gerecht zu werden versuche ...
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Montag, 12. Oktober 2015

schmelztiegel wien und eine schöne schrift ...

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nicht wenige wienerInnen tragen tschechische nachnamen, und ich bin mittlerweile stolz drauf, von gar nicht wenigen die bedeutung zu wissen. neben uns haben jahrelang herr und frau "hahn" gewohnt, extrem freundliche nachbarn.

wann es die beiden nach wien verschlagen hat, weiß ich nicht mehr, einen starken böhmischen akzent hatten sie bis zuletzt, geboren waren sie noch im vorvorigen jahrhundert. er war tatsächlich schneider und sie war tatsächlich eine wunderbare köchin. manchmal bekamen wir kinder powidldatschkerln oder selber gemachte mohnnudeln - und die durften wir auch noch nach dem zähneputzen essen. da uns unsere mutter gerne (und ziemlich lange) schon um 19 uhr ins bett brachte - eine zeit, in der der x. heute gerade einmal dran denkt, sich eventuell zum abendessen zu bequemen, war das gar nicht so selten der fall.

eine enkelin hatten die beiden, mit der wir auch manchmal gespielt haben – und einen garten, in den wir nie gefahren sind, obwohl sie uns oft einlud. als frau kohout schon weit über 90 war, ließ sie es sich nicht nehmen, zu meiner standesamtlichen hochzeit zu kommen – mittlerweile schon lang witwe, immer noch sehr rüstig und gut zu fuß.

als ich mein stammbuch damals von ihr zurückbekam, verging ich fast vor ehrfurcht. so eine schöne schrift hatte ich vorher noch nie gesehen.
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Mittwoch, 5. August 2015

können und wollen

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den spruch da hat mir meine erste religionslehrerin ins stammbuch geschrieben. ihr verdanke ich auch die ungefähr zweite erinnerung an meine schulzeit. denn als sie zu uns sechsjährigen in die klasse kam, begann sie ihre stunde mit den zwar inhaltlich richtigen, aber noch nicht allen anwesenden mit allen konsequenzen bekannten worten: "kinder, eins sag ich euch gleich, es gibt kein christkind und keinen osterhasen!"

dass einige nach dieser eröffnung sofort zu weinen begannen, ignorierte sie. obwohl ich doch auch erst vor einer woche sechs jahre alt geworden war, schien sie mir ein wenig herzlos. wobei ich damals sicher nicht dieses wort dachte, aber die weinenden mitschülerinnen, taten mir auf jeden fall mehr leid als dieser lehrerin, die ich wohl im selben augenblick nicht zu mögen beschloss.

vielleicht kann man ja auch härte an einer schrift erkennen, wobei ich diese da als typische regelmäßige lehrerinnenschrift der siebzigerjahre und als eher langweilig (wie auch ihr unterricht dann so war) bewerten würd*.

im jahr darauf wurde es schlimmer, dann bekamen wir "den herrn pfarrer". der konnte das leben jesu und vor allem das ende so ausgiebig und grausig schildern, dass uns vor allem eines klar wurde: religion(en) sind zum fürchten gedacht. den teil mit der nächstenliebe hörte ich erst viel später.

dass man nicht könne, ist generell ein sehr schlagendes argument: wir können zum beispiel nicht dreitausend menschen menschenwürdig unterbringen, geschweige denn über siebzigtausend flüchtlinge vernünftig nachdenken. wir können nicht auf unsere ressourcen achten. wir können auf nichts verzichten.
oder wir wollen nicht.
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Montag, 27. Juli 2015

wie man nicht politikerin wird

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es ist schon ein paar jahre her, da rief mich im büro eine manuela s. an. was sie denn wolle, verriet sie unserer im allgemeinen doch recht neugierigen sekretärin nicht.

ob ich mich an sie erinnere, wir seien doch gemeinsam in die wasagasse ...? ja, ich erinnerte mich. an eine große, ein wenig ungeschlachte pubertierende mit "schlafzimmerblick" und reichlich schwierigkeiten dem damals gar nicht so anspruchslosen unterricht zu folgen.

sie hätte eine wunderbare tochter, die sei grad 12, ob ich denn auch kinder ...? ja, hätte ich auch, bisschen älter, damals noch nur einen buben.

sie wäre glücklich geschieden, ob ich denn auch ...? ja, wäre ich auch, und sogar auch in frieden - das sei ja auch für die kinder viel besser ...

wäre gar nicht so leicht gewesen, mich zu finden, ich hätte ja gar nicht mehr meinen mädchennamen, aber sie hieße ja jetzt auch ...

was will die denn? fragte ich mich. denn befreundet waren wir nie, und mein jetziger name ist so ziemlich das anonymste, wie man in d oder ö heißen kann.

ich bin auch nur sehr bescheiden berühmt, wenn sie nicht gerade arbeitsunfälle oder berufskrankheiten ausgewertet brauchen, werden sie mich nicht kennen. außer sie kennen mich wirklich.

frau manuela tat das nicht. denn ihre nächste frage haute mich um.

"weißt du, ich hab jetzt einen superjob!", erzählte sie ungefragt weiter. "ich arbeite für die fpö!" richtig stolz war sie da drauf. und sie setzte ansatzlos fort: "und - magst du auch bei uns mitmachen?"

das gespräch war beendet. mir scheint, mit ihr ist es ein wenig niedergegangen. und mit der fpö geht es hoch. wenigstens ohne mich.
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Mittwoch, 8. Juli 2015

...

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Liebe Maria,

ich weiß gar nicht, wie lange wir beide einander schon kennen, Du bist wie eine Schwester für mich und ganz sicher einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Du bist auch diejenige, zu der ich immer das meiste Vertrauen hatte und habe, der Mensch, vor dem ich mich mit meinen Selbstlügen konfrontieren kann und bei dem ich am allermeisten von allen danach trachte, wahr zu bleiben. Früher warst du da auch durchaus die einzige, mittlerweile bin ich auch zu anderen ehrlicher geworden.

Aber ich hab es oft genug "gewagt zu lügen", ganz sicher nicht nur deshalb, weil mir die Gottesfurcht so gänzlich abgekommen ist.

Ich find es schön, dass Du mir als Kind gerade diesen Spruch da hinein geschrieben hast, in einer fast ernsthaft schönen Schrift, die sich in unseren unendlichen vielen Briefen während des Schuljahres im Lauf der Jahre doch ein wenig verschliffen hat.

Mit Dir hab ich die ersten Rätsel verfasst, die meine kleine Schwester, die wir nie dabei haben wollten (aber natürlich mussten) zu lösen hatte, mit Dir hab ich das erste Gedicht verfasst, das uns beim Bademeister (der sehr seltsam war und dessen Loblied wir leicht satirisch anstimmten) zwei Eis verschafft hat, geschrieben und Du hast mir 40 Jahre später (!) die Angst vorm ersten Auftritt mit einem eigenen Text (wie mittlerweile vielen anderen auch jegliches Lampenfieber) genommen.

So zwischendurch einfach auch einmal hier Danke.
Für alles.
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Donnerstag, 2. Juli 2015

nütz aus deine jugend

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Nichts kommt jemals wieder, also sollte man alle Zeit, die man hat nützen, oder?

Fragt sich nur womit …

In dem Spruch steht aber nicht nützen, sondern ausnützen. Und damit komm ich zu meiner Geschichte.

Mit der Michi hat mich wenig verbunden, außer dass sie von mir meine zweitbeste Freundin T „geerbt“ hat. Die wäre in der ersten Klasse nämlich eigentlich am liebsten meine beste Freundin gewesen. Seltsamerweise ist sie das, nachdem die Bettina weggezogen ist, und ich darüber auch sehr traurig war, nicht geworden. Vielleicht hab ich von der T deshalb nicht einmal einen Eintrag in mein Stammbuch bekommen.

Dabei hat sich die T ein Jahr lang wirklich bemüht. Wir hatten dreiviertel unseres Heimwegs gemeinsam – und dabei eine ganz feste Reihenfolge: Als erstes gingen wir zum Fleischhauer und die T kaufte uns jeder eine Wurstsemmel. Die hatten wir bis zur Straßenbahnstation aufgegessen. Im gegenüberliegenden Eissalon von T´s Großmutter bekamen wir dann jede eine Tüte spendiert, bevor wir eine Station mit dem Ringwagen fuhren.
Beim Umsteigen ließen wir dann mindestens 5 Straßenbahnen vorbeifahren, denn ich hätte beide Anschlusslinien nehmen können, die T aber nur eine davon. Wahrscheinlich wollten wir uns aber nur länger unterhalten.
Bei T´s Station stiegen wir manchmal noch beide aus, und aßen noch ein Eis aus dem dortigen Eissalon. Für die T war das das Mittagessen, denn sie musste ihre Nachmittage allein zu Hause verbringen. Deshalb hatte sie auch immer so viel Taschengeld. Ich fuhr weiter und aß – durchaus mit Appetit - alles, was meine Mutter gekocht hatte.

Der einzige Nachteil meines überlangen Heimwegs war, dass mich meine Mutter in der Früh entsprechend zeitig losschickte.

Die T ist mir zwar nicht persönlich, aber indirekt noch ein paar Mal wiederbegegnet. Als erstes hat mich ihr Vater, ein gar nicht so unberühmter Trainer seiner zufällig am selben Ort wie ich wohnenden gar nicht so unberühmten damaligen Fußballmannschaft vorgestellt. Das hat mich sehr erheitert, weil die Rollen da irgendwie vertauscht waren. Sympathischerweise war er nämlich sehr viel stolzer auf seine Tochter als auf die Kicker.
Wieder viel später ist mir ihr Name auf Unterlagen meines Exmanns aufgefallen. Der hatte sie dann als sehr nette Kollegin.
Nach weiteren zehn Jahren haben wir ein wenig hin- und hergemailt. Die T hat berufsbegleitend gleich zwei gar nicht einfache Studien absolviert. Ob sie noch mit der Michi befreundet ist, hab ich sie nicht gefragt.
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Mittwoch, 24. Juni 2015

ich schreibe mich aufs letzte blatt

frau katiza hat mich gestern an ein projekt erinnert, das ich schon ewig angehen wollt. da slammen nicht so meins ist, erfreu ich euch ab sofort mit kommentaren zu meinem wiedergefundenen stammbuch.

früher mussten wir (oder unsere mütter - je nach lust und fleiß) eine leere seite füllen, nicht nur vorgegebene rubriken. niemand wäre auf die Idee gekommen, fotos hineinzukleben, die waren viel zu teuer.

und in absolut jedem stammbuch, stand auf der letzten seite:
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die schriftanalyse überlass ich herrn trithemius, falls er lust hat, der kann das besser. von mir gibt´s wie immer nur text ...


christl saß in der vorletzten reihe, sie hatte dicke brillen und ganz feste rotblonde locken. viel hab ich nicht mit ihr gesprochen, gar nicht, weil ich sie nicht mochte, eher weil ich sie nicht kannte.
vier jahre lang nicht kannte.

eigentlich hab ich mich gewundert, dass sie sich aufs letzte blatt geschrieben hat und mich "sehr gern hat". und außerdem hab ich mich damals auch ein bisschen darüber geärgert, dass ich den fantasielosen spruch jetzt auch als schandfleck in meinem stammbuch hatte.

sie konnte von uns 30 schülerInnen am besten fehlerlos lesen, nur ganz selten schaffte ich mehr worte als sie. das weiß ich deshalb so genau, weil unsere deutschlehrerin in der unterstufe (die heute sekundarstufe II heißt - ein wort, das ich herzlich unnötig finde - ) aus jeder klassenlektüre einen wettkampf machte. und wer den jeweiligen tagesbestwert erreicht hatte, war von der hausübung befreit. vielleicht wär´s ja besser gewesen, ich hätte noch seltener gewonnen - dann hätt ich jahre später meine deutsch-matura nicht verhauen müssen. aber das ist eine andere geschichte.

was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. wahrscheinlich ist sie auf eine handelsakademie gegangen. vielleicht hat sie einen lieben, genau so ruhigen mann und drei wohlerzogene kinder bekommen. jetzt sitzt sie am abend in ihrem gepflegten garten, nachdem sie aus ihren selbstgezogenen krauthäupteln ein paar raupen entfernt hat. schön sind die ja erst, wenn sie schmetterlinge geworden sind.
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hier fehlt was;-)

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