Samstag, 12. Juli 2008

4. Die Iraner

Auf der Straße, aber auch von Bekannten von Bekannten wurden wir fast immer im ungefähr zweiten Satz folgendermaßen angeredet: "May I ask you a question?" Wir hätten die Antwort da schon geben können, denn die Frage war immer gleich: "Do you really think, we are all terrorists?" NEIN, das dachten und denken wir nicht, und die Regierung, die dieses Land im Moment hat, haben sich alle diese Menschen ganz sicher nicht ausgesucht.

Mag sein, dass vieles eine Frage der Bildung ist, und dass die Leute, die mit uns kommunizieren konnten also zumindest eine, eher zwei bis drei Fremdsprachen auch noch so nebenbei und meist - vor allem beim gar nicht so einfachen Deutsch - auch noch sehr gut gelernt haben, aber wir haben auch mit ein paar "einfacheren" Leuten geredet -

und alle waren extrem gastfreundlich zu uns, hilfsbereit, interessiert, weltoffen, und (außer beim Autofahren;-)) rücksichtsvolle und angenehme Zeitgenossen.

eroeffnung1
bei weitwinkelaufnahmen stell ich mich nie wieder an den rand;-)
Unsere Freundin Sepideh (da oben die dritte von links) ist eine ausgesprochen warmherzige, extrem lebenskluge und witzige Person, ihr Orchideenstudium der Musikarchäologie (ich hoffe, ich tue dem Studienzweig da nicht Unrecht, aber ich kenne halt sonst wirklich niemanden, der DAS studiert (hat)- weder im Iran noch bei uns) verhilft ihr immer wieder zu Forschungsaufenthalten - wobei ihr die Franzosen im Louvre recht arrogant begegnet sein dürften, während wir sie wegen eines Vortrags ihrerseits in Wien bei uns zu Gast hatten. Sie wird nach Halle an der Saale gehen, ich hoffe, dort wird´s ihr nicht zu fad. Entschuldigung an alle Haller, aber ich hab so einen kleinen Deutschlandknacks, nur - das ist nun wirklich eine andere Geschichte ...
Ich kann der S. hier gar nicht gerecht werden, ihre Fröhlichkeit nicht beschreiben, ihren Optimismus nur ein bisschen zitieren: "Die Frauen werden sich das nicht mehr lange gefallen lassen, das spür ich!" Wir haben mit ihrer SIM-Karte telefoniert, wir haben uns oft genug ihren Autofahrkünsten anvertraut, wir waren bei ihrer Familie zu einer Trauerfeier und bei ihr zu einer Party eingeladen, wir haben uns mit ihr Wasserpfeifen und herrliche Ausblicke auf Teheran geteilt - und zum Abschied hat sie mir noch eines ihrer besten Fotos geschenkt: bild-sepi
Auf einem anderen Foto sieht man vier Frauen von unten, besonders einprägsam ihre aufwärts gerichteten Kinne, und mit dem Bild hab ich ihre Hoffnungen (auch für ihr Land) verbunden. Denn irgendwann werden viele - die es jetzt nicht können - auch wieder zurückkehren, meinte sie einmal.

Bei der Trauerfeier für ihren mit 105 (manche meinen, es wären sogar noch mehr gewesen) Jahren verstorbenen Großvater saß ein Onkel von ihr neben mir, der vor zwei Jahren aus New York tatsächlich zurückgekehrt ist. Seine Erklärungen - auch die, dass ich nicht von jedem Tablett was nehmen müsste, das mir irgendwer hinhielt - waren sehr hilfreich, seine Söhne (jetzt 13 und 15) wollten natürlich lieber heute als morgen nach Amerika zurück.
Als wir uns verabschiedeten, reichte mir wirklich auch jeder der anderen mindestens 50 (eher mehr) Trauergäste die Hand, viele sagten auch noch was dazu, und mehr als gesättigt und auch noch von ihrem sehr charmanten Vater mit Blumen bedacht, fuhren wir mit ihren Freunden noch ein bisschen in die Berge - zum Verdauungsspaziergang.

Sepidehs Freund Abbed wiederum studiert Philosophie, genauergesagt Phänomenologie, und bei dieser Gesprächsthematik war ich durchaus ein wenig überfordert. So viel Altgriechisch, um Platon lesen zu können, hätte er sich schon beigebracht - bei mir haben vier Schuljahre dafür eher schlecht ausgereicht. Die deutschen Philosophen liest er natürlich sowieso auf Deutsch, aber sprachbegabt wie er nun einmal ist, mochte er auch "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod", ein Werk, von dem ich nicht so ganz angenommen hätte, dass es für Nichtmuttersprachler großen Reiz hat.
Sollte das jetzt so klingen, als wäre A. ein abgehobener Intellektueller, lass ich nur letzteres gelten, A. kann auch ganz hervorragend aus dem Kaffeesud oder aus der Hand lesen, und wir haben bei seinen äußerst wahrscheinlichen Prophezeihungen sehr gelacht. Der Kaffee (türkischer) war übrigens auch ganz ausgezeichnet - und Kaffeesudlesen ist ein Kinderspiel, ich hab´s auch ganz schnell gelernt. Jedenfalls geht A. zuerst einmal nach Frankreich, Erasmus sein Dank oder so.
party
und hier einmal alle nicht so formell;-)

Wenn ich dagegen an beider Freund Arrash denke, hab ich sofort sein freundliches und vielleicht sogar ein wenig spitzbübisches Lächeln vor mir. Außerdem würde ich gerne mit ihm Frisur tauschen, er hat äußerst lange nicht zu bändigende Locken, eine Haartracht, die auch nicht gerade landesüblich ist. Ihm verdanken wir, dass wir es geschafft haben mit der U-Bahn zu fahren - die Stationen sind nämlich mit Symbolen gekennzeichnet, aus denen wir nie erraten hätten, dass es da zur U-Bahn gehen könnte. Damit wir nichts falsch machen konnten, chauffierte er uns einmal kurzerhand praktischerweise zur Endstation - und ab da wurden wir geradezu zu U-Bahn-Fans. A. ist glaub ich hauptsächlich Schachspieler (und zwar erfolgreicher), studiert aber natürlich auch, ganz gemerkt hab ich mir die bisherigen Anläufe nicht, jetzt ist es entweder Sportwissenschaften oder Sprachwissenschaften oder beides. Und A. wartet auf eine Zusage einer deutschen Uni, die ich mir auch nicht gemerkt hab.

Einem anderen Freund - Soheil - verdanken wir einen wirklich schönen Bildband über Iran und eine tolle Werbung für die Ausstellung auf einer iranischen Fotoplattform
ausstellung2
Überhaupt haben uns viele Freunde von Sepideh bei der Ausstellungseröffnung geholfen, die Texte auf Farsi bekamen wir nämlich ein wenig spät und alle 70 haben sie gemeinsam zurechtgeschnitten, auf Kärtchen geklebt und wie in einer Rätselrallye zu den natürlich nicht der Reihe nach hängenden Bildern geklebt. Und da die Genehmigung ja schon genau einen Tag lang vorlag, hängten sie auch kurzerhand am Eröffnungstag die Plakate dafür auf. S. wird im August nach Wien kommen und Informatik auf der TU studieren, wenigstens einer, den wir ganz sicher bald wiedersehen ...

Ich könnte die Reihe endlos fortsetzen, es scheint einfach genauso wie mir eine Ärztin auf der Party von S. erzählte: Von ihren befreundeten Studienkollegen seien 10 schon im Ausland und alle anderen arbeiteten daran. Bei Männern ist es mühsamer, die müssen auch noch 21(!) Monate Militärdienst ableisten, bevor ihnen die Ausreise genehmigt wird, aber danach wollen einfach alle weg. Und damit verliert Persien auch alle, die opponieren könnten. Übrigens hab ich - aber jemand anderem - auch einmal die nicht als Zynismus, sondern ganz ehrlich gemeinte Frage "What is opposition?" beantwortet. Die Ärztin jedenfalls sagte, ihr fehle die Luft zum Atmen.

Ihn wundere es nicht, dass hier alle depressiv seien, erklärte uns ein Petrochemie-Consultant, er wisse auch nicht, was er den Firmen raten solle, die Regeln werden dauernd geändert, die Banken sind korrupt, Geschäfte seien irgendwie sinnlos ... So depressiv waren mir die anderen zwar gar nicht vorgekommen, aber das Arrangieren mit den Schikanen bewirkt schon auch etwas - mit jedem und jeder Betroffenen. An einen baldigen Krieg glaubten wiederum eher die wenigsten, die acht Jahre Iran-Irakkrieg seien doch gerade erst vorbei, und auch da hätte man doch gesehen, wie sinnlos ...

Mit vielen anderen Studenten haben wir uns auch unterhalten, weil gerade Prüfungszeit war und wir im Garten gerne ihre Vorbereitungen unterstützt haben. Und an unserem letzten Tag gab es noch ein Konzert, mit einem Programm als sei es für mich und meine Vorlieben zusammengestellt worden: Viel Klassik - soweit ich´s beurteilen kann, ausgezeichnet interpretiert - traditionelle persische Musik und - METALL! IMG_20080621_9999_68
Und auch das hat (fast;-)) allgemein gefallen, eine Sorge, die der Drummer und Bandleader (2. von links) durchaus vorher hatte.

Ein Märchen würde sie gerne schreiben, erzählte mir eine andere Freundin von Sepideh, ein Märchen über ein Mädchen, das in der Wüste aufwächst und von allen anderen wissen will, was denn nun ein See sei und wie sich das anfühle. Vielleicht auch, wie es denn jemals zu einem See kommen könnte.
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walküre - 13. Jul, 13:53

.

creature - 13. Jul, 15:53

walküre, wie soll man nun deine antwort richtig deuten ?
;)
walküre - 13. Jul, 16:43

So,

wie ich es schon einmal bei David erklärt habe:

"Mir hat dein Eintrag sehr gut gefallen und ich finde ihn so zutreffend/gelungen/witzig/berührend (Nichtzutreffendes bitte streichen, Anm. von Walküre), dass ich der Meinung bin, dass sich alles, was ich dazu schreiben könnte, im Vergleich dazu liest wie gequirlte Schei*e, weshalb ich einen wörtlichen Kommentar unterlasse, dir jedoch mitteilen möchte, dass dein Eintrag bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat."
la-mamma - 13. Jul, 20:10

das ehrt mich,

dass ich da einen punkt von dir bekommen habe. (mir sind sie zwar auch schon öfter woanders aufgefallen, aber für mich ist´s der erste;-))
testsiegerin - 14. Jul, 07:56

wenn das so ist, gibts von mir auch einen punkt.
.

ich lese aufmerksam und gespannt und hoffe, es geht noch lange weiter.

la-mamma - 14. Jul, 17:31

öh - ähem

das blog sollte schon noch weitergehen. mit der persienberichterstattung - für die ich die 33 handgeschriebenen tagebuchseiten ein wenig verkürzt habe - bin ich eigentlich fertig ...
der h. (Gast) - 15. Jul, 20:12

da die frau la-mamma

auslasst, erzähl hat ich ein bissi was:
Die Frauen
1) Bei uns isses ja so, daß die hübschen Frauen sich recht aufreizend anziehen und wenn sie deine Aufmerksamkeit dann haben wirst Du völlig ignoriert.
Nicht So in Persien, da sie ja alle diese Leichentücher umhängen haben bleibt ihnen nur das Gesicht zum betören. Die exzessive Schminkerei gefällt mir ja weniger, aber der echte Spass is das dich jede 2te oder 3te anblinzelt, dass ma so als unbedarfter Europäer glatt glauben könnt des is jetz a Heiratsantrag.

2) Wir steigen in Isfahan aus dem Auto, gehen aufs Hotel zu und da steht eine die sich irgendwie abhebt. Nicht in Schwarz sondern in Schattierungen von Dunkelgrau elegant gekleidet. Nicht wallend labernde Fetzen sondern relativ eng anliegend. Und wiedereinmal diese Augen die sich tief in mich hineinbohren. Doch da nimmt sie auch noch mit der rechten Hand ihren langen Rock und zieht ihn soweit hoch, dass mein Blick auf ihre NACKTEN Füsschen fällt. Umwerfend! Zum ersten mal seit 5 Tagen sehe ich so etwas wie die tertiären Sexualorgane einer Frau.
Wenig später werde ich dann über das Thema 5-Stunden-Ehe aka Prostitution aufgeklärt. Ja so sehen hier also die Nutten aus.

3) Es gibt keine Blondinen. Aber manche zeigen recht kunstvoll gebleichtes Haar - Männer machen so etwas natürlich nicht.
Das heisst also von hinten betrachtet kann ich nur eine Frau sein - ohne Kopftuch!
Mehrmals kam einer von hinten, wild schimpfend, angedampft - zum Glück is mein Farsi nicht sehr gut. Tja und wenn ich mich dann umdrehte, erstummen und blasses Erstaunen, 180 Grad Kurve und schnell weg.
la-mamma - 15. Jul, 20:19

mir sind im blinzelverhalten

keine großen unterschiede zu da aufgefallen. aber vielleicht bin ich ja schon zu alt für sowas;-)
la-mamma - 16. Jul, 23:55

getränke sind absolut vergleichbar,

außer dass es halt keinen alkohol gibt;-) außer selbst gemachten, und der schmeckt dann auch so ...
und joghurt wird auch getrunken, mit wasser und minze oder etwas ähnlichem - das schmeckt hervorragend. tee ist sowieso gut, und türkischen kaffee mag ich auch.
zu den mahlzeiten gibt es viel brot (ein sehr helles), bei den hauptspeisen sehr oft mit reis, der aber nur halb gegart und dann gebraten wird - was mir auch geschmeckt hat. im reis dann gleich das fleisch - viel huhn, lamm und rind haben wir auch gekriegt. der mcdonalds heißt apache, die fast-food-restaurants sind aber nicht so ganz meins. wirklich tödlich sind dagegen die unendlichen varianten von mehlspeisen. sehr süß, viel mit pistazien und das speiseeis schmeckt auch ganz ausgezeichnet ...
-
mit religiösen hardlinern hab ich nicht geredet - das kann ich eigentlich gar nicht beurteilen, obwohl ich annehme, dass da der fokus nicht gerade auf informationen aus dem dekadenten ausland liegt.
ich glaube aber, dass sie - speziell in teheran - eine minderheit darstellen.
steppenhund - 16. Jul, 08:59

Zuerst gibt es einmal einen
.

Dann musste ich bei der Betrachtung der Musikarchäologie schmunzeln. Ich kenne zwar auch niemanden, der das hier macht. In Japan bin ich manchmal dem Fach begegnet. Es müsste eigentlich faszinierend sein, wenn man bedenkt, welchen Stellenwert die Musik in unserem Leben hat und welche direkte Verknüpfung es zwischen Musik und der Empfindungswelt des Menschen gibt.
Was wissen wir da von früheren Zeiten?

la-mamma - 16. Jul, 23:57

wenig wissen wir,

aber wenn die s. wieder einmal in wien einen vortrag hält, geb ich dir bescheid;-)
den letzten hat sie uns "probe"vorgetragen/auf ihrem laptop gezeigt - das war nicht uninteressant!
irishwolfhound - 17. Jul, 16:37

das mit dem • gefällt mir!

lese auch gebannt mit.

hier fehlt was;-)

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