4. Die Iraner
Auf der Straße, aber auch von Bekannten von Bekannten wurden wir fast immer im ungefähr zweiten Satz folgendermaßen angeredet: "May I ask you a question?" Wir hätten die Antwort da schon geben können, denn die Frage war immer gleich: "Do you really think, we are all terrorists?" NEIN, das dachten und denken wir nicht, und die Regierung, die dieses Land im Moment hat, haben sich alle diese Menschen ganz sicher nicht ausgesucht.
Mag sein, dass vieles eine Frage der Bildung ist, und dass die Leute, die mit uns kommunizieren konnten also zumindest eine, eher zwei bis drei Fremdsprachen auch noch so nebenbei und meist - vor allem beim gar nicht so einfachen Deutsch - auch noch sehr gut gelernt haben, aber wir haben auch mit ein paar "einfacheren" Leuten geredet -
und alle waren extrem gastfreundlich zu uns, hilfsbereit, interessiert, weltoffen, und (außer beim Autofahren;-)) rücksichtsvolle und angenehme Zeitgenossen.
bei weitwinkelaufnahmen stell ich mich nie wieder an den rand;-)
Unsere Freundin Sepideh (da oben die dritte von links) ist eine ausgesprochen warmherzige, extrem lebenskluge und witzige Person, ihr Orchideenstudium der Musikarchäologie (ich hoffe, ich tue dem Studienzweig da nicht Unrecht, aber ich kenne halt sonst wirklich niemanden, der DAS studiert (hat)- weder im Iran noch bei uns) verhilft ihr immer wieder zu Forschungsaufenthalten - wobei ihr die Franzosen im Louvre recht arrogant begegnet sein dürften, während wir sie wegen eines Vortrags ihrerseits in Wien bei uns zu Gast hatten. Sie wird nach Halle an der Saale gehen, ich hoffe, dort wird´s ihr nicht zu fad. Entschuldigung an alle Haller, aber ich hab so einen kleinen Deutschlandknacks, nur - das ist nun wirklich eine andere Geschichte ...
Ich kann der S. hier gar nicht gerecht werden, ihre Fröhlichkeit nicht beschreiben, ihren Optimismus nur ein bisschen zitieren: "Die Frauen werden sich das nicht mehr lange gefallen lassen, das spür ich!" Wir haben mit ihrer SIM-Karte telefoniert, wir haben uns oft genug ihren Autofahrkünsten anvertraut, wir waren bei ihrer Familie zu einer Trauerfeier und bei ihr zu einer Party eingeladen, wir haben uns mit ihr Wasserpfeifen und herrliche Ausblicke auf Teheran geteilt - und zum Abschied hat sie mir noch eines ihrer besten Fotos geschenkt:
Auf einem anderen Foto sieht man vier Frauen von unten, besonders einprägsam ihre aufwärts gerichteten Kinne, und mit dem Bild hab ich ihre Hoffnungen (auch für ihr Land) verbunden. Denn irgendwann werden viele - die es jetzt nicht können - auch wieder zurückkehren, meinte sie einmal.
Bei der Trauerfeier für ihren mit 105 (manche meinen, es wären sogar noch mehr gewesen) Jahren verstorbenen Großvater saß ein Onkel von ihr neben mir, der vor zwei Jahren aus New York tatsächlich zurückgekehrt ist. Seine Erklärungen - auch die, dass ich nicht von jedem Tablett was nehmen müsste, das mir irgendwer hinhielt - waren sehr hilfreich, seine Söhne (jetzt 13 und 15) wollten natürlich lieber heute als morgen nach Amerika zurück.
Als wir uns verabschiedeten, reichte mir wirklich auch jeder der anderen mindestens 50 (eher mehr) Trauergäste die Hand, viele sagten auch noch was dazu, und mehr als gesättigt und auch noch von ihrem sehr charmanten Vater mit Blumen bedacht, fuhren wir mit ihren Freunden noch ein bisschen in die Berge - zum Verdauungsspaziergang.
Sepidehs Freund Abbed wiederum studiert Philosophie, genauergesagt Phänomenologie, und bei dieser Gesprächsthematik war ich durchaus ein wenig überfordert. So viel Altgriechisch, um Platon lesen zu können, hätte er sich schon beigebracht - bei mir haben vier Schuljahre dafür eher schlecht ausgereicht. Die deutschen Philosophen liest er natürlich sowieso auf Deutsch, aber sprachbegabt wie er nun einmal ist, mochte er auch "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod", ein Werk, von dem ich nicht so ganz angenommen hätte, dass es für Nichtmuttersprachler großen Reiz hat.
Sollte das jetzt so klingen, als wäre A. ein abgehobener Intellektueller, lass ich nur letzteres gelten, A. kann auch ganz hervorragend aus dem Kaffeesud oder aus der Hand lesen, und wir haben bei seinen äußerst wahrscheinlichen Prophezeihungen sehr gelacht. Der Kaffee (türkischer) war übrigens auch ganz ausgezeichnet - und Kaffeesudlesen ist ein Kinderspiel, ich hab´s auch ganz schnell gelernt. Jedenfalls geht A. zuerst einmal nach Frankreich, Erasmus sein Dank oder so.
und hier einmal alle nicht so formell;-)
Wenn ich dagegen an beider Freund Arrash denke, hab ich sofort sein freundliches und vielleicht sogar ein wenig spitzbübisches Lächeln vor mir. Außerdem würde ich gerne mit ihm Frisur tauschen, er hat äußerst lange nicht zu bändigende Locken, eine Haartracht, die auch nicht gerade landesüblich ist. Ihm verdanken wir, dass wir es geschafft haben mit der U-Bahn zu fahren - die Stationen sind nämlich mit Symbolen gekennzeichnet, aus denen wir nie erraten hätten, dass es da zur U-Bahn gehen könnte. Damit wir nichts falsch machen konnten, chauffierte er uns einmal kurzerhand praktischerweise zur Endstation - und ab da wurden wir geradezu zu U-Bahn-Fans. A. ist glaub ich hauptsächlich Schachspieler (und zwar erfolgreicher), studiert aber natürlich auch, ganz gemerkt hab ich mir die bisherigen Anläufe nicht, jetzt ist es entweder Sportwissenschaften oder Sprachwissenschaften oder beides. Und A. wartet auf eine Zusage einer deutschen Uni, die ich mir auch nicht gemerkt hab.
Einem anderen Freund - Soheil - verdanken wir einen wirklich schönen Bildband über Iran und eine tolle Werbung für die Ausstellung auf einer iranischen Fotoplattform
Überhaupt haben uns viele Freunde von Sepideh bei der Ausstellungseröffnung geholfen, die Texte auf Farsi bekamen wir nämlich ein wenig spät und alle 70 haben sie gemeinsam zurechtgeschnitten, auf Kärtchen geklebt und wie in einer Rätselrallye zu den natürlich nicht der Reihe nach hängenden Bildern geklebt. Und da die Genehmigung ja schon genau einen Tag lang vorlag, hängten sie auch kurzerhand am Eröffnungstag die Plakate dafür auf. S. wird im August nach Wien kommen und Informatik auf der TU studieren, wenigstens einer, den wir ganz sicher bald wiedersehen ...
Ich könnte die Reihe endlos fortsetzen, es scheint einfach genauso wie mir eine Ärztin auf der Party von S. erzählte: Von ihren befreundeten Studienkollegen seien 10 schon im Ausland und alle anderen arbeiteten daran. Bei Männern ist es mühsamer, die müssen auch noch 21(!) Monate Militärdienst ableisten, bevor ihnen die Ausreise genehmigt wird, aber danach wollen einfach alle weg. Und damit verliert Persien auch alle, die opponieren könnten. Übrigens hab ich - aber jemand anderem - auch einmal die nicht als Zynismus, sondern ganz ehrlich gemeinte Frage "What is opposition?" beantwortet. Die Ärztin jedenfalls sagte, ihr fehle die Luft zum Atmen.
Ihn wundere es nicht, dass hier alle depressiv seien, erklärte uns ein Petrochemie-Consultant, er wisse auch nicht, was er den Firmen raten solle, die Regeln werden dauernd geändert, die Banken sind korrupt, Geschäfte seien irgendwie sinnlos ... So depressiv waren mir die anderen zwar gar nicht vorgekommen, aber das Arrangieren mit den Schikanen bewirkt schon auch etwas - mit jedem und jeder Betroffenen. An einen baldigen Krieg glaubten wiederum eher die wenigsten, die acht Jahre Iran-Irakkrieg seien doch gerade erst vorbei, und auch da hätte man doch gesehen, wie sinnlos ...
Mit vielen anderen Studenten haben wir uns auch unterhalten, weil gerade Prüfungszeit war und wir im Garten gerne ihre Vorbereitungen unterstützt haben. Und an unserem letzten Tag gab es noch ein Konzert, mit einem Programm als sei es für mich und meine Vorlieben zusammengestellt worden: Viel Klassik - soweit ich´s beurteilen kann, ausgezeichnet interpretiert - traditionelle persische Musik und - METALL!
Und auch das hat (fast;-)) allgemein gefallen, eine Sorge, die der Drummer und Bandleader (2. von links) durchaus vorher hatte.
Ein Märchen würde sie gerne schreiben, erzählte mir eine andere Freundin von Sepideh, ein Märchen über ein Mädchen, das in der Wüste aufwächst und von allen anderen wissen will, was denn nun ein See sei und wie sich das anfühle. Vielleicht auch, wie es denn jemals zu einem See kommen könnte.
Mag sein, dass vieles eine Frage der Bildung ist, und dass die Leute, die mit uns kommunizieren konnten also zumindest eine, eher zwei bis drei Fremdsprachen auch noch so nebenbei und meist - vor allem beim gar nicht so einfachen Deutsch - auch noch sehr gut gelernt haben, aber wir haben auch mit ein paar "einfacheren" Leuten geredet -
und alle waren extrem gastfreundlich zu uns, hilfsbereit, interessiert, weltoffen, und (außer beim Autofahren;-)) rücksichtsvolle und angenehme Zeitgenossen.
bei weitwinkelaufnahmen stell ich mich nie wieder an den rand;-)
Unsere Freundin Sepideh (da oben die dritte von links) ist eine ausgesprochen warmherzige, extrem lebenskluge und witzige Person, ihr Orchideenstudium der Musikarchäologie (ich hoffe, ich tue dem Studienzweig da nicht Unrecht, aber ich kenne halt sonst wirklich niemanden, der DAS studiert (hat)- weder im Iran noch bei uns) verhilft ihr immer wieder zu Forschungsaufenthalten - wobei ihr die Franzosen im Louvre recht arrogant begegnet sein dürften, während wir sie wegen eines Vortrags ihrerseits in Wien bei uns zu Gast hatten. Sie wird nach Halle an der Saale gehen, ich hoffe, dort wird´s ihr nicht zu fad. Entschuldigung an alle Haller, aber ich hab so einen kleinen Deutschlandknacks, nur - das ist nun wirklich eine andere Geschichte ...
Ich kann der S. hier gar nicht gerecht werden, ihre Fröhlichkeit nicht beschreiben, ihren Optimismus nur ein bisschen zitieren: "Die Frauen werden sich das nicht mehr lange gefallen lassen, das spür ich!" Wir haben mit ihrer SIM-Karte telefoniert, wir haben uns oft genug ihren Autofahrkünsten anvertraut, wir waren bei ihrer Familie zu einer Trauerfeier und bei ihr zu einer Party eingeladen, wir haben uns mit ihr Wasserpfeifen und herrliche Ausblicke auf Teheran geteilt - und zum Abschied hat sie mir noch eines ihrer besten Fotos geschenkt:
Auf einem anderen Foto sieht man vier Frauen von unten, besonders einprägsam ihre aufwärts gerichteten Kinne, und mit dem Bild hab ich ihre Hoffnungen (auch für ihr Land) verbunden. Denn irgendwann werden viele - die es jetzt nicht können - auch wieder zurückkehren, meinte sie einmal.
Bei der Trauerfeier für ihren mit 105 (manche meinen, es wären sogar noch mehr gewesen) Jahren verstorbenen Großvater saß ein Onkel von ihr neben mir, der vor zwei Jahren aus New York tatsächlich zurückgekehrt ist. Seine Erklärungen - auch die, dass ich nicht von jedem Tablett was nehmen müsste, das mir irgendwer hinhielt - waren sehr hilfreich, seine Söhne (jetzt 13 und 15) wollten natürlich lieber heute als morgen nach Amerika zurück.
Als wir uns verabschiedeten, reichte mir wirklich auch jeder der anderen mindestens 50 (eher mehr) Trauergäste die Hand, viele sagten auch noch was dazu, und mehr als gesättigt und auch noch von ihrem sehr charmanten Vater mit Blumen bedacht, fuhren wir mit ihren Freunden noch ein bisschen in die Berge - zum Verdauungsspaziergang.
Sepidehs Freund Abbed wiederum studiert Philosophie, genauergesagt Phänomenologie, und bei dieser Gesprächsthematik war ich durchaus ein wenig überfordert. So viel Altgriechisch, um Platon lesen zu können, hätte er sich schon beigebracht - bei mir haben vier Schuljahre dafür eher schlecht ausgereicht. Die deutschen Philosophen liest er natürlich sowieso auf Deutsch, aber sprachbegabt wie er nun einmal ist, mochte er auch "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod", ein Werk, von dem ich nicht so ganz angenommen hätte, dass es für Nichtmuttersprachler großen Reiz hat.
Sollte das jetzt so klingen, als wäre A. ein abgehobener Intellektueller, lass ich nur letzteres gelten, A. kann auch ganz hervorragend aus dem Kaffeesud oder aus der Hand lesen, und wir haben bei seinen äußerst wahrscheinlichen Prophezeihungen sehr gelacht. Der Kaffee (türkischer) war übrigens auch ganz ausgezeichnet - und Kaffeesudlesen ist ein Kinderspiel, ich hab´s auch ganz schnell gelernt. Jedenfalls geht A. zuerst einmal nach Frankreich, Erasmus sein Dank oder so.
und hier einmal alle nicht so formell;-)
Wenn ich dagegen an beider Freund Arrash denke, hab ich sofort sein freundliches und vielleicht sogar ein wenig spitzbübisches Lächeln vor mir. Außerdem würde ich gerne mit ihm Frisur tauschen, er hat äußerst lange nicht zu bändigende Locken, eine Haartracht, die auch nicht gerade landesüblich ist. Ihm verdanken wir, dass wir es geschafft haben mit der U-Bahn zu fahren - die Stationen sind nämlich mit Symbolen gekennzeichnet, aus denen wir nie erraten hätten, dass es da zur U-Bahn gehen könnte. Damit wir nichts falsch machen konnten, chauffierte er uns einmal kurzerhand praktischerweise zur Endstation - und ab da wurden wir geradezu zu U-Bahn-Fans. A. ist glaub ich hauptsächlich Schachspieler (und zwar erfolgreicher), studiert aber natürlich auch, ganz gemerkt hab ich mir die bisherigen Anläufe nicht, jetzt ist es entweder Sportwissenschaften oder Sprachwissenschaften oder beides. Und A. wartet auf eine Zusage einer deutschen Uni, die ich mir auch nicht gemerkt hab.
Einem anderen Freund - Soheil - verdanken wir einen wirklich schönen Bildband über Iran und eine tolle Werbung für die Ausstellung auf einer iranischen Fotoplattform
Überhaupt haben uns viele Freunde von Sepideh bei der Ausstellungseröffnung geholfen, die Texte auf Farsi bekamen wir nämlich ein wenig spät und alle 70 haben sie gemeinsam zurechtgeschnitten, auf Kärtchen geklebt und wie in einer Rätselrallye zu den natürlich nicht der Reihe nach hängenden Bildern geklebt. Und da die Genehmigung ja schon genau einen Tag lang vorlag, hängten sie auch kurzerhand am Eröffnungstag die Plakate dafür auf. S. wird im August nach Wien kommen und Informatik auf der TU studieren, wenigstens einer, den wir ganz sicher bald wiedersehen ...
Ich könnte die Reihe endlos fortsetzen, es scheint einfach genauso wie mir eine Ärztin auf der Party von S. erzählte: Von ihren befreundeten Studienkollegen seien 10 schon im Ausland und alle anderen arbeiteten daran. Bei Männern ist es mühsamer, die müssen auch noch 21(!) Monate Militärdienst ableisten, bevor ihnen die Ausreise genehmigt wird, aber danach wollen einfach alle weg. Und damit verliert Persien auch alle, die opponieren könnten. Übrigens hab ich - aber jemand anderem - auch einmal die nicht als Zynismus, sondern ganz ehrlich gemeinte Frage "What is opposition?" beantwortet. Die Ärztin jedenfalls sagte, ihr fehle die Luft zum Atmen.
Ihn wundere es nicht, dass hier alle depressiv seien, erklärte uns ein Petrochemie-Consultant, er wisse auch nicht, was er den Firmen raten solle, die Regeln werden dauernd geändert, die Banken sind korrupt, Geschäfte seien irgendwie sinnlos ... So depressiv waren mir die anderen zwar gar nicht vorgekommen, aber das Arrangieren mit den Schikanen bewirkt schon auch etwas - mit jedem und jeder Betroffenen. An einen baldigen Krieg glaubten wiederum eher die wenigsten, die acht Jahre Iran-Irakkrieg seien doch gerade erst vorbei, und auch da hätte man doch gesehen, wie sinnlos ...
Mit vielen anderen Studenten haben wir uns auch unterhalten, weil gerade Prüfungszeit war und wir im Garten gerne ihre Vorbereitungen unterstützt haben. Und an unserem letzten Tag gab es noch ein Konzert, mit einem Programm als sei es für mich und meine Vorlieben zusammengestellt worden: Viel Klassik - soweit ich´s beurteilen kann, ausgezeichnet interpretiert - traditionelle persische Musik und - METALL!
Und auch das hat (fast;-)) allgemein gefallen, eine Sorge, die der Drummer und Bandleader (2. von links) durchaus vorher hatte.
Ein Märchen würde sie gerne schreiben, erzählte mir eine andere Freundin von Sepideh, ein Märchen über ein Mädchen, das in der Wüste aufwächst und von allen anderen wissen will, was denn nun ein See sei und wie sich das anfühle. Vielleicht auch, wie es denn jemals zu einem See kommen könnte.
la-mamma - 12. Jul, 21:29
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