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Samstag, 23. Mai 2015

Fassade

Der Rasen ist gemäht, der Zaun frisch gestrichen, das Gesicht geschminkt, das Kampflächeln aufgesetzt, was sollen die Nachbarn denken? Wir werfen Kleingeld in den Klingelbeutel, weil es die anderen sehen, denn freiwillig würden wir nichts hergeben, weder dem Nächsten noch den Fernsten. Wir sind passend angezogen, wir denken wie unsere Freunde, es geht uns gut. Die Fenster sind blank geputzt, die Vorhänge sind zugezogen, wir sagen, was die anderen hören wollen. Wir haben glücklich zu sein, Sport zu treiben, zu konsumieren und Müll zu trennen. Wir sind so bewusst, wir sind so bewegt, und insgeheim glauben wir nicht immer, was wir von uns geben. Wir täuschen uns nicht, weil wir einander nicht kennen, wir enttäuschen niemanden, weil wir so konform sind.

Wir richten uns an unserer Fassade auf, sie hält uns zusammen und zurück. Wir bauen sie immer neuer und fester und wir weinen dahinter.

dieser text gehört zum siebten wort aus dem *.txt - projekt
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Freitag, 1. Mai 2015

ich gehör nur mir

dieser text gehört zum sechsten wort "dein" aus dem *.txt - projekt


Heute hab ich seit langem wieder einmal einen Brief geschrieben. Und ihn mit „Deine Schwester“ unterschrieben. Auch dieser Brief ist mir nicht leicht gefallen.

In meinem ganzen Leben habe ich weniger Liebesbriefe als Gedichte verfasst. Meine lyrischen Ergüsse sind sehr überschaubar. Noch weniger dieser Briefe hab ich mit „Deine …“ unterschrieben. Weil es nicht wahr gewesen wäre. Weil ich es nicht so gewollt hätte.

Als einmal jemand dachte, ich wäre sein, bin ich im Krankenhaus gelandet. Wahrscheinlich hab ich uns beide zu ernst genommen.

Manche definieren sich ja geradezu über die Ihren, Menschen, die in jedem zweiten Satz, mein Mann oder meine Frau sagen, sind mir suspekt.

Schon der A. hatte ein Kinderbuch, das nannte sich „Alles meins“. Ich glaube, einem kleinen Pinguin wurde sein Egoismus ein wenig ausgetrieben. Oder vielleicht war es ein Rabe.

Eine weise alte Dame, die zufällig auch die Großmutter meines Sohnes X. (da geht´s anscheinend doch) ist, sagt gern: Mach die Augen zu, dann siehst Du, was Dir gehört!



PS: Als die Eisenbahn noch vier Klassen hatte, gab es ein Bonmot über deren unterschiedliche Fahrgäste: In der vierten Klasse sitzen die Handarbeiter, in der dritten die Kopfarbeiter, in der zweiten die Leute, die nicht zwischen mir und mich unterscheiden können und in der ersten die, die den Unterschied zwischen mein und dein nicht kennen.
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Samstag, 18. April 2015

GLEICH?

Ich hab eine kleine Schwester und wir sind nicht gleich. Nie gleich gewesen und wollen es auch nicht sein. Vielleicht wollte sie es mir als Kind noch gleich tun, aber mittlerweile hat sie schon längst jede Latte - und die Latten waren hoch - die ich gelegt habe, übersprungen.

Meine Mutter zog uns gerne gleich an, was wir beide nicht ausstehen konnten. Aber die Oma nähte uns halt aus dem gleichen Stoff das Gleiche, was hätten wir tun können?

Wir sind beide keine Balletttänzerinnen geworden, obwohl ich da zweifellos mehr Talent hatte und die Ballettlehrerin mich ungleich mehr geschätzt hat.

Wir sind beide auch keine Pianistinnen geworden, obwohl sie da zweifellos länger geübt hat, aber wir eher gleich unmusikalisch sind.

Sie spielte nicht gleich gut Tennis wie ich, und ich kann bis heute nicht gleich gut Schifahren wie sie.

Wir studierten zumindest am Anfang teilweise das Gleiche, zu Anfang durchaus mit unterschiedlichem Einsatz und Ehrgeiz, aber wir waren gleich schnell fertig. Zwei Jahre hatten wir den gleichen Beruf.

Meine Schwester hat sich in ihrer ersten Ehe ein bisschen meinen Eltern gleich verhalten, ich hab es anders gemacht. Unsere Beziehungen haben ungefähr gleich lang gehalten.

Meine Eltern sagen, dass sie uns immer gleich behandeln woll(t)en. Dabei stehen ihnen ihre Urteile ein wenig im Weg: Sie ist die Ordentliche und ich bin die Schlampige. Sie ist die Verantwortungsvolle und ich bin der Hallodri. Sie tut was für die Menschheit und ich arbeite für die falschen Leute. Sie ist die Sparsame und ich bin die Verschwenderin. Sie ist die Arme und ich bin die Verrückte.

Und ich schätze einmal, wir sind auch nicht so gleich glücklich. Und das tröstet mich jetzt ein wenig.

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Donnerstag, 19. März 2015

@bild

Und du stehst vor dem Spiegel
und du siehst dein Gesicht.
Und du bist dieses Wesen,
und du bist es doch nicht.
Weil der Spiegel nie sagt,
was du wirklich denkst,
welchen Dingen du,
welchen Werten du
Beachtung schenkst …


Den Rest weiß ich nicht mehr (es waren mindestens noch drei Strophen), aber ein Klassenkollege hat dieses höchst philosophische Produkt (von mir mit höchstens 15 verfasst) vertont und mit vielen anderen Eigenkompositionen tatsächlich auch zur Aufführung gebracht, wofür ich ihm bis heute Respekt zolle.

Was ich damals offensichtlich schon ahnte: Wir haben ein Bild von uns, dem wir natürlich nie entsprechen, auch wenn wir es so gerne würden. Und wehe, wer anderer kratzt daran – dann werden wir böser, als wenn er oder sie uns sonstwie misshandelte.

Um dem Bild zu entsprechen, nehmen wir gar nicht wenige Opfer auf uns, bleiben in kaputten Ehen, reden uns alles Mögliche schön, verlieren nicht die Geduld, wo Hopfen und Malz verloren ist, trösten uns mit den Aussagen derer, die uns wider besseres Wissen auch noch Recht geben, weil sie unsere Eitelkeit (oder Verletzlichkeit?) ganz genau einschätzen können.

Einmal hab ich mein Spiegelbild zerschlagen. Dabei hab ich mir ziemlich weh getan.

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Dienstag, 24. Februar 2015

abgrundtief

dieser text gehört zum dritten wort aus dem *.txt - projekt

Ich habe lang darüber nachgedacht, warum ich ihn so hassen konnte. Meinen Hass nährte ich immer wieder neu, meine Verachtung ließ ich ihn immer deutlicher spüren. Die angebotene Hand ergriff ich nie mehr, es gelang mir bei jedem erzwungenen Kontakt, ihn nur mehr auf dem Punkt zwischen seinen Augenbrauen fixieren. Einmal hab ich ihn über unseren Gang hinausgebrüllt, und der Gang ist ziemlich lang. Ich war stolz, wenn ich ihm schaden konnte, und ich habe es getan, so gut es mir möglich war.
Warum jetzt, mag er sich gefragt haben, wo doch alles schon so lang her ist? Seine unerträgliche Aufdringlichkeit, all das Gesabbere und Gegrapsche, das von mir zuerst gar nicht ernst genommene Getue. Gekichert hab ich am Anfang noch, kein Lachen gab es mehr am Ende. Die meisten hätten mir sowieso nicht geglaubt, wie bei einem Hundebesitzer – der sei doch harmlos, das wüssten ja eh alle …
Keine Grenzen konnte ich setzen, und dafür hab ich mich selbst später so abgrundtief verachtet. Seiner Meinung nach war alles meine Schuld, das alles hätte schließlich „ich ihm angetan“, und wenn es nur die aufreizende Art meiner Kleidung war.

Bis ich mir irgendwann den Verrat an mir selbst verzeihen konnte. Und damit ihm auch.
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Dienstag, 10. Februar 2015

sonderwünsche

ich hab da ein seltenes privileg: ich arbeite in einer wunscherfüllungsabteilung. genauer gesagt sind die wünsche, die wir erfüllen, sogar sonderwünsche – so nennen wir sie nämlich. sie können sich bei uns eine menge wünschen, wir werden uns sobald wie möglich um ihr anliegen bemühen, schreiben wir immer sofort zurück.
wir schreiben das natürlich auch zurück, wenn sie sich wünschen, dass wir erbschaften in zentralafrika antreten, barack obama mit geld aushelfen oder an der meinungsumfrage zur wahrnehmung von eu-policies teilnehmen. es gibt einfach zu viele wünsche auf dieser welt.

einen ganzen kasten haben wir schon mit sonderwunschordnern befüllt, wir merken uns auch noch, was sie sich so im lauf der jahre gewünscht haben. sie können ihre wünsche auch gerne aktualisieren, das machen wir am liebsten, da haben wir weniger arbeit damit. die sonderwunschordner sind übrigens alle von hinten nach vorne befüllt und sonnenblumengelb.

die erfüllung ihrer wünsche kostet sie nicht einmal etwas, das ist gar nicht so selbstverständlich. vergleichbar finanzierte ähnliches wie wir betreibende institutionen lassen sich gern noch mal extra bezahlen. recht gut weiterverkaufen können sie unsere wunscherfüllungen allerdings auch nicht, der markt ist doch recht überschaubar, sodass, auch wenn sie´s als ihres ausgeben, der weg immer wieder zu uns zurück führt.

da wir, um nicht ganz die übersicht zu verlieren, alle wünsche durchnummerieren, fragen wir gerne, ob sie vielleicht die ESSWE-nummer haben, sonderwunsch ist ja doch ein langes wort, und sw- schreibt sich deutlich schneller.

wer sich das ausgedacht hat, dass praktisch alle wünsche, die an uns gerichtet werden, sonderwünsche heißen, weiß ich nicht. es ist auf jeden fall vor meiner ankunft hier passiert, also war irgendwie immer schon so oder zumindest früher schon so. mittlerweile ist früher bei manchen nicht mehr, bevor ich da war, sondern auch schon früher,. als ich zwar schon da, aber noch nicht so eigenwillig war. sonderwunsch ist jedenfalls nicht denglisch, wir haben die schon so genannt, als das akronym olap noch gar nicht erfunden war.

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Montag, 19. Januar 2015

gradtwanderungen

immer wenn ich grad wandere
grad so gut und grad so daneben
gratulier ich mir
zu meinen überstandenen
gratwanderungen.

grat ich doch so gern
auf um- und abwege,
und hör einfach nie
drauf,
endlich grad zu gehen.

nix is gratis
grad is nix

diese idee gefällt mir, im link steht die erklärung ... und außerdem haben mir die unterschiedlichen schreibweisen des vorgegebenen wortes ... s.o.
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hier fehlt was;-)

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